von Schnee
Die Jury hat entschieden!
Die Gewinner*innen werden bald bekannt gegeben.
Wettbewerb im August 2024
Ein Wanderer steht mit dem Rücken zu uns auf einem Felsen. Er blickt auf Bergspitzen inmitten von Nebelschwaden. Wer ist er? Wohin schaut er? Was denkt er gerade? Kein anderes Werk des romantischen Malers Caspar David Friedrich wird noch heute so häufig aufgegriffen oder reproduziert wie sein ikonisches Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“. Anlässlich seines 250. Geburtstags dieses Jahr gibt es deutschlandweit zahlreiche Ausstellungen, die sich vor Besucher*innenströmen kaum retten können. Woher kommt diese Begeisterung? Warum können wir uns heute noch mit diesen Bildern identifizieren?
Sie fangen ein Gefühl in uns auf, das zeitlos ist: Sehnsucht. Wir sehnen uns nach etwas Vergangenem oder nach einem Neuanfang und nicht selten sehnen wir uns nach etwas Unerreichbarem. Und diese Gefühle vermittelt auch der Wanderer im Nebelmeer. Dass wir uns so gut in den Wanderer hineinversetzen können, wird auch von der Tatsache unterstützt, dass wir ihn nur von hinten sehen. So projizieren wir alle etwas Anderes, Individuelles in ihn.
Ausgehend von dem Hype um die Werke Caspar David Friedrichs stellt sich der Feuilleton-Podcast der ZEIT, „Die sogenannte Gegenwart“, in der Folge „Sechs Strategien, unsterblich zu werden“ die Frage nach Ähnlichkeiten zwischen Caspar David Friedrich und Taylor Swift. Von dort aus beleuchtet der Podcast beispielsweise die ewige menschliche Sehnsucht, durch Berühmtheit oder Kunstwerke, unsterblich zu werden. Könnt ihr die Sehnsucht nach Unsterblichkeit nachvollziehen oder sehnt ihr euch eher nach einem erfüllten irdischen Leben?
Die Sehnsucht nach etwas vermeintlich Unmöglichem thematisiert, mehr als zwei Jahrhunderte nach der Entstehung von „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ auch das Gedicht „Selbst die Vögel“ des*der nigerianischen Dichter*in Logan February. In dem Text erzählt ein lyrisches Ich von seiner*ihrer Heimat, einem „heißen Land“, das im Dezember von „Sahara-Sand“ eingehüllt wird. In einer Region, in der es für gewöhnlich nicht schneit, sehnt sich das lyrische Ich nach Winter. Die Dringlichkeit dieses Traums bei gleichzeitiger Unerfüllbarkeit wird beschlossen mit dem Vergleich, dass „[e]s […] Momente geben [muss] / da selbst die Vögel sich danach sehnen, Vögel zu sein.“
Habt ihr eine Sehnsucht nach etwas, das unerreichbar oder unmöglich scheint? Vielleicht ist es Schnee im August oder gar das unendliche Leben? Was von dem, was heute unmöglich erscheint, könnte vielleicht zukünftig wahr werden? Wir sind gespannt auf eure Gedichte zu (noch) unerreichbaren Sehnsüchten! Viel Spaß beim Dichten zu unserem August-Thema „von Schnee“!
Selbst die Vögel
Logan February
Ich komme aus einem heißen Land, das Magie / in seine Fäden
verwebt. Im Dezember / hüllt der Sahara-Sand alles ein. / Sieht aus
wie der Zerfall / den wir uns verdient haben. Ich trage / blaue Federn
in meinen Händen & / am Steißbein & zu oft / träume ich von
Schnee. / Einen Engel aus Schnee formen / heißt etwas Göttliches
schnitzen aus heidnischen Knochen. / Der Dezember fängt in meinen
Rippen an, / wenn Staub einsickert & sich festsetzt. Dann füllt die
Kälte / alle Ritzen aus / mit einer Einsamkeit, die nach altem Papier
& / süßem Schimmel riecht. / Schnee fällt mir zwischen die Rippen &
/ ich sehne mich noch immer nach Winter. Es muss Momente geben /
da selbst die Vögel sich danach sehnen, Vögel zu sein.
aus: Logan February, Mental Voodoo. Gedichte, aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Christian Filips, unter Mitarbeit von Peter Dietze. © Urs Engeler – 2024.
Weiterführende Informationen
Logan February ist ein*e multidisziplinäre*r nigerianische*r Dichter*in, die*der in Berlin lebt. February ist Autor von In the Nude (Ouida Poetry, 2019) und drei weiteren Gedichtbänden. Logan Februarys Texte wurden international veröffentlicht, mit dem Future Awards Africa Prize for Literature ausgezeichnet und ins Spanische und Deutsche übersetzt. Derzeit ist February Literaturstipendiat:in des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin. Mental Voodoo (Engeler Verlag/Poesie Dekolonie, 2024), übersetzt von Christian Filips unter Mithilfe von Peter Dietze, war eine der Lyrik-Empfehlungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2024.
Logan February, Foto: Paulina Hildesheim