Schaff dem, was haltlos ist, eine Umrahmung.
Die Jury hat entschieden!
Die Gewinner*innen werden bald bekannt gegeben.
Wettbewerb im Dezember 2024
Jetzt ist sie wieder da: die dunkle Jahreszeit. Und sie kann ganz schön auf die Stimmung drücken. Wenn die Tage im Winter kurz sind, fühlen wir uns oft ein bisschen antriebslos und niedergeschlagen, nicht umsonst spricht man auch vom Winter-Blues. Lasst uns deshalb gemeinsam etwas Licht ins Dunkel bringen! Diesen Monat rufen wir euch zu: Haltet gut durch! Schreibt eine poetische Anleitung für jemanden, der*dem gerade Energie fehlt, der*dem gerade etwas Hoffnung fehlt – oder für euch selbst, falls ihr es gerade gut gebrauchen könnt. Auf welche nicht ganz alltäglichen Dinge möchtet ihr euer Augenmerk richten?
Sie werden aus Draht, Wolle und Stoffresten gemacht und sind nur wenige Zentimeter groß: Sorgenpüppchen, deren Gebrauch aus Guatemala und Mexiko stammt. Der Tradition nach verschenkt man die kleinen Püppchen an jemanden, der aktuell von Ängsten und Kummer geplagt wird. Diese*r kann den Püppchen dann all seine Sorgen anvertrauen, sie unters Kopfkissen legen und am nächsten Morgen sollen alle dunklen Gedanken verschwunden sein. Auch wenn man nicht an Magie glaubt, hilft der*dem ein oder anderen vielleicht einfach schon das Ritual rund um die Püppchen dabei, dass die Sorgen ein kleines bisschen schrumpfen. Wenn ihr auch jemanden dabei helfen mögt, ihre*seine Sorgen zu verscheuchen, und ihr noch auf der Suche nach einem kleinen Geschenk seid: Hier erfahrt ihr, wie ihr selbst ein Sorgenpüppchen basteln könnt.
Ein Ritual in Gedichtform möchten wir euch diesen Monat mit Felix Schillers Text „Beschwörung des Festhaltens“ vorstellen. Jedes Mal eingeleitet durch das Wort „Wunsch“ listet das Gedicht 11 Wünsche auf, in denen etwas festgehalten werden soll, das sich nicht festhalten lässt. Was wäre, wenn die Beschwörung des lyrischen Ichs funktioniert und die Wünsche wahr werden? Vielleicht kann die beschwörende Formel auch dabei helfen, Sorgen zu vertreiben?
Schickt uns im Dezember eure Aufmunterungen in Gedichtform! Schreibt sie für jemanden, die*der gerade Sorgen hat, einen kleinen Hoffnungsschimmer nötig hat oder einfach nur etwas Antrieb braucht – ob Freund*in, Familienmitglied oder ihr selbst. Wenn ihr mögt, könnt ihr gern Felix Schillers Formel nutzen, eine Liste aus 11 Aufmunterungen notieren und diese durch einen immergleichen Zeilenanfang einleiten. Weiter unten findet ihr dazu auch noch einige Tipps von ihm persönlich. Wir wünschen euch viel Spaß beim Dichten und eine frohe Winter- und Weihnachtszeit frei von Sorgen! Kommt gut ins neue Jahr!
Beschwörung des Festhaltens
Felix Schiller
Umhülle, auf dass es nicht flüchte.
Stelle dich auf mit den hüftbreiten Füßen,
atme dir Luftbeine an.
Wo bist du zahm, liegt der Druck (nicht zu zähmen)?
Berühre mit dem Zeigefinger die Kuhle deiner anderen Hand.
Beschreite die Ader hinunter zur Beuge (Kitzel des Pulswegs).
11 Wünsche lass ziehen.
Wunsch. Drück meinen Blick ins Nisin.
Wunsch. Presse den Wohlduft auf Schellack.
Wunsch. Ritz meine Tage in Tafeln aus Zeder.
Wunsch. Zieh Fotoordner auf Sticks in Sulfiten.
Wunsch. Sammel krumplige Post-Ists in Barken.
Wunsch. Banne Staub hinter Stirn in Nitrat.
Wunsch. Lass Chats im Peroxid sinken.
Wunsch. Hol meine Sachen aus Ameisensäure.
Wunsch. Lege Zweige nieder im Bor.
Wunsch. Tauch meine Worte zu dir in Sorbate.
Wunsch. Schick im gebleichten Walnussboot
mein Erinnern mit dir hinaus.
Schaff dem, was haltlos ist, eine Umrahmung.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors
Vier Fragen an Felix Schiller
Worauf reagierst du mit deinem Gedicht?
Das Gedicht ist entstanden im Rahmen eines Theaterprojekts mit dem Titel „Der Eleusis Effekt“, für das ich mich mit Bleitäfelchen beschäftigt habe. In der Antike und im Mittelalter wurden in diese Täfelchen sogenannte „Bindezauber“ eingraviert. Sie wurden dann gefaltet, eingerollt oder durchbohrt und eigens vergraben, zum Beispiel als Grabbeigabe oder an Tempeln. An diese Bleitäfelchen wurde in einer Weise geglaubt, die mich sehr berührt hat. Hoffen und Wünschen können darauf einen Platz finden, in sehr konzentrierter Form, da das Format des Täfelchens den Textumfang beschränkt. Es finden sich Flüche, Bitten um Heilung, Bitten um Schutz vor Krankheiten oder Liebesbeschwörungen.
Welche Reaktion erhoffst du dir von den Rezipient*innen deines Gedichts?
Ich finde es spannend, dass bei den Bleitäfelchen die materielle Gestaltung des Texts und die Form selbst schon den Sinn herstellen. Die Leser*innen können mit meinem Gedicht machen, was sie wollen, es ist ihr Lesen. Ich versuche mit dem Text nur, Vergänglichkeit zu konservieren, was natürlich scheitert. Wenn die Tragik und auch die Komik dieses Scheiterns lesbar werden, gleichzeitig die Möglichkeit sichtbar wird, immer wieder mit dieser Tragik und Komik ins Gedicht zu treten, ist alles gut.
Welchen Ratschlag möchtest du jungen Lyriker*innen geben?
Glaubt an euch, horcht auf eure Umwelten. Schützt euch gleichzeitig davor, euch in euren Umwelten zu verlieren. Spürt den Wiederspiegelungen eurer Zeit nach, in euch und eurem Sprechen, versucht das Eigenständige und Eigenartige eures Hierseins genau jetzt in dieser Welt zu entdecken, schaut genau hin, wie sich eure Sprache verändert. Und sucht aktiv die anderen Schreibenden, lasst sie nah an euch heran.
Welche Lyrikaufgabe würdest du unseren Teilnehmer*innen stellen?
Versuche, das im Gedicht „Beschwörung des Festhaltens“ beschriebene Ritual für dich selbst zu vollziehen. Überlege, was du mit deinem Körper machen kannst, um gut nachzudenken: Schreibe zwei bis drei Empfehlungen an deinen Körper auf: Wie sollte er sich positionieren? Dann nimm dir genau 11 Zettelchen: Überlege, was du gerade gerne festhalten würdest? Was soll niemals vergehen, was soll sich nie für dich ändern? Das können große Begebenheiten sein oder auch ganz kleine Dinge. Schreibe diese 11 Wünsche auf die Zettelchen. Dann ordne die Zettelchen so nacheinander an, dass es für dich stimmig ist. Finde eine Formel in der Befehlsform, mit denen du deine Wünsche immer gleich einleitest und sie fortgehen lässt: Das kann alles sein, ein Wort oder auch ein kurzer Satz, z.B. „Weg mit dir, ich möchte für immer…“ oder „Nimm es, ich will, dass sich … nie ändert“ oder „Lass ziehen, ich wünsche mir, dass…“. Einfach, was sich für dich stimmig anfühlt. Die Empfehlungen an deinen Körper vom Anfang zusammen mit diesen 11 Wunschformeln, das ist dann dein Gedicht, du hast das Ritual vollzogen.
Lesung „Beschwörung des Festhaltens“
Felix Schiller studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik in Freiburg, Basel, Wien und La Paz. Er war Finalist beim 22. und 24. open mike sowie beim Lyrikpreis Meran und erhielt verschiedene Arbeits- und Aufenthaltsstipendien. Zuletzt erschien bei hochroth München der Band regionale konflikte, der unter „Die besten Lyrikdebüts“ gewählt wurde.
Felix Schiller, Foto: Paul Sauvant