wenn zimmer kammern werden
Die Jury hat entschieden!
Die Gewinner*innen werden bald bekannt gegeben.
Die Jury hat entschieden!
Wettbewerb im November 2019
Wie ist das, wenn etwas Alltägliches, Allgemeines auf einmal zu etwas ganz Besonderem und Vertrautem wird? Ein Mensch zu einem Freund, ein Bett zu einer Koje oder ein Zimmer zu einer Kammer? Wodurch verändert sich unser Blick auf die Sache? Was passiert dazwischen? Ein Erlebnis, eine Erfahrung, vielleicht auch ein Wechsel vom Alltag in die Traumwelt, vom Tag zur Nacht?
„wenn zimmer kammern werden“ heißt unser Monatsthema im November. Es ist eine Zeile aus dem Gedicht „schichten entstehen so“ von Caroline Danneil. Um welche Schichten mag es sich handeln? Schichten einer Biographie? Schichten auf einem Gelände? Oder Schichten von verschiedenen Wirklichkeiten?
wenn zimmer kammern werden
Caroline Danneil
wie sonne mit schattenwurf
spielt am nachbarhaus
gewinnt
bleibt falb und hüllt sich in
ferne, rau und dabei immergleich
besaß lust. sie kroch in mein gemäuer
bei abend, trug assel und heftklammer her
trug es her. sie prahlte mit
wärme und übergab mich einem
wechselhaften mond und falscher aussicht
wenn es abend wurde, ließ ich nach in tages-
kraft, faltete schwingen und sortierte in oberste lade
in einschüchternd großen schrank. da, nimm du’s!
strich an nadeln vorbei, an zusatzstichen, schonte mich
besonders zum abend hin, hab ihn so überstanden
zu fasching dürfen hörner, antennen, federn heraus
–
eine biene hinter sich her-
setzen an höchste stelle
und auf wagen
zum sichersein:
fliegt nicht
wie ich härtete
plötzlich wurden plätze im innern und ging etwas auf –
verwaiste plätze, inmitten ein lindenbaum
rauschende plätze mit karussellen und das verbissene lächeln
eines seinerseits aufgespießten pferdes
hahn auf hausdach im dorf und sein nadelbein gibt
rätsel auf: will haus kirche sein? klerikaler konkurrent?
wenn ja, wo wäre seine glocke?
dreht sich pferd und schaukelt nicht, folgt pressen einer pumpe
eine tiergesellschaft aus lackiertem, lächelnd in schichten
unter rötlichem bausch
schilder regeln: nur dir sei betreten ausdrücklich verboten!
bannmeile wie um pyramiden von gizeh – kürzlich gezogen
bei nacht, außerhalb, später, wenn zimmer kammern
werden
anders nicht zu bergen, verlangt es mich
zum trotz nach einem nebengeschöpf
wär ich glücklich mit einem
der sich aufs federlesen mit sorgsamer hand
verstünde
spatzen hudern heimlich. ich hab sie
im garten belauert, stand starrend
geduldiger noch standen die stare und besahen
flügel übereinander. schlagen als wärme erzeugen
schichten entstehen so
ich zog die lade auf und zählte federn
beruhigte mich
wie inseln später in wanne wachsen aus knien
In dem Text von Caroline Danneil klingen verschiedene Themen an: Neben den Schichten geht es auch um Einsamkeit und Beziehung. Was mag das für ein „nebengeschöpf“ sein? Welchem „du“ ist das Betreten ausdrücklich verboten. Es geht aber auch um Natur, um heimlichhudernde spatzen und noch geduldiger stehende stare. Und immer scheinen sich Räume zu verschieben, Wege zu öffnen, so wie die „lade” oder auch die „plätze im innern”. Ist es vielleicht das, was das Ich in Danneils Gedicht mit dem Schmetterlingsfänger von Carl Spitzweg verbindet? Das Durchdringen von Dickicht oder Schichten, um in neue Räume zu blicken? Auf der Suche nach Dingen und Geschöpfen, für die unsere Netze zu klein sind?
Schickt uns im November eure Texte zum Thema „wenn zimmer kammern werden“! Schreibt uns von heimlich entdeckten Räumen, von fast unmerklich entstehenden Schichten, von Verwandlungen der Dinge in etwas ganz Eigenes. Wir freuen uns auf eure Spuren und werden ihnen folgen!
Geboren 1971 in Karlsruhe, Studium der Germanistik und Anglistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der University of Cambridge, 2002 Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien, Arbeit als Lehrerin. Seit Frühjahr 2016 Mitglied des Dichter*innenkollektivs Salon Fluchtentier, Endauswahl Münchner Kurzgeschichtenwettbewerb 2016, Veröffentlichungen digital u.a. bei mosaik, fixpoetry und in Print in Zeitschriften und Anthologien, u.a. in prisma, STILL, klischée.
Im Herbst 2019 ist ihr Debutband hinter hand – vier auszeiten im gutleut verlag Frankfurt erschienen.
Zu unserem aktuellen Monatsthema wird Caroline Danneil im November eine Schreibwerkstatt im Museum Wiesbaden für Schüler*innen ausrichten. Wie das lyrische Ich in dem Text von Danneil schlägt sich auch der Schmetterlingsfänger auf dem Bild von Carl Spitzweg durch Schichten, Schichten eines scheinbar undurchdringlichen Dickichts. Und auch er landet in einer leicht verstörenden Traumwelt.
Der Schmetterlingsfänger
Carl Spitzweg
Carl Spitzweg (1808 – 1885)
Der Schmetterlingsfänger
Öl auf Holz, 31,0 x 25,0 cm
Um 1840, Museum Wiesbaden, ehem. städt. Museum, jetzt Hess. Landesmuseum
Inv.-Nr. 2241/1, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland
Zitat:
„Im Vordergrund links zwei Riesen-Schmetterlinge, rechts ein großer Stein, dahinter zwischen Sträuchern und Stauden, frontal zum Betrachter, der Schmetterlingsfänger mit einem viel zu kleinem Kescher, in der linken Hand den roten Regenschirm. Die scharf geschliffene Brille stellt Spitzweg in weißlichen Farben dar, um die Kurzsichtigkeit zu betonen. Links eine große Bananenstaude, auch im Vordergrund oben rechts, weiterhin Büsche und Bäume sowie blühende Stauden. Der Schmetterlingsfänger hat sich nach den Vorgaben der naturwissenschaftlichen Informationen ausgerüstet mit Wasserflasche, Rucksack und Botanisiertrommel…“
Quellennachweis:
Weichmann, Siegfried: Karl Spitzweg Verzeichnis der Werke, Belser-Verlag Stuttgart, 2002, Textauszug von S. 225
Das Museum Wiesbaden ist das Hessische Landesmuseum für Kunst und Natur. Die Exponate des Zweispartenhauses reichen von prähistorischen naturkundlichen Objekten bis in die aktuelle Gegenwart. Sie gliedern sich einerseits in die Kunstsammlungen Alte Meister, 19. Jahrhundert und Jugendstil, Klassische Moderne, Moderne und Gegenwart sowie andererseits in die Naturhistorischen Sammlungen. Das Museum besitzt die international bedeutendste Sammlung des Werkes von Alexej von Jawlensky