THEMA VERLÄNGERT! - ich bin deine wolke aus nichts
Die Jury hat entschieden!
Die Gewinner*innen werden bald bekannt gegeben.
Die Jury hat entschieden!
Wettbewerb im Oktober 2019
Carl-Christian Elze stellt das lyrix-Thema im Oktober: „ich bin deine wolke aus nichts“. Das Gedicht dazu heißt „kleiner Klappaltar“ und ist, genau wie das religiöse Utensil, in drei Teile unterteilt. Der Autor beschreibt es als einen Versuch, das menschliche Leben in einer Art Dreischritt zu erfassen: Geburt-Leben-Tod. Doch welche Rolle spielt die „wolke aus nichts“? Was kann das überhaupt sein? Und wer kann eine wolke sein? Und dann auch noch für jemand anderen?
Schickt uns eure Gedichte zu Wolken, Leben und Nichts! Wir freuen uns darauf!
kleiner klappaltar
1.
wenn wir die augen öffnen, fährt ein lichtblitz hinein
durchdringt durchsichtige häute, gallerte, schlägt ein
in ein dunkles verkabeltes netz
sehpurpur stäubt
die ersten schemen dieser welt:
ein geschenkter gaul mit glänzender mähne
und zerrütteten zähnen
gelb und uralt
dann ein riss
als ob geschenkpapier reißt
sodass man weint
ohne zu wissen, dass man weint
und schreit .. bis einen die stimme fängt
die summt .. noch ganz vertraut
aus herzstampfender zeit
und ruhe strömt ein.
2.
vertreibst du die angst aus irgendeinem loch
in deinem kopf, krabbelt sie weiter, wie eine zecke
lautlos über deinen schädel, der seine befreiung bekannt gibt
wie ein betrunkener esel, und bohrt ein neues loch
ein neues gewirr von gängen in dich hinein
noch näher an deinem limbischen gral, noch näher
an deinem heiligen system, noch tiefer
noch leistungsfähiger darin, deinen esel zu köpfen.
und dennoch gibt es eine art blume, die dich noch immer erfreut
eine art tier, das sich zu dir legt und dich wärmt
einen gedanken, der still hält und dich anhält
in deiner verzweifelten magie, eine art wolke
die flüstert .. für einen kurzen moment.
3.
beruhige dich, atme ruhig, ich weiß dein schreckhaftes herz
rast, deine rote libelle, du glaubst zu ersticken, aber beruhige dich
du hast luft in dir, mehr als du denkst, mehr als du glaubst
dein herunterfahrender kopf kreischt, aber ich rate dir: singe
singe und staune, bestaune die luft, die dich verlässt
und wieder einkehrt in dich wie ein hund, oder wie alle deine
hunde, die schon gestorbenen, die noch immer bei dir liegen
in dir, ohne dass du es merkst, in einer wolke aus fell ..
du fragst, wer da spricht? ich bin deine wolke aus nichts:
ich gehöre zu dir, zu jeder sekunde, und ich gehöre zu allen
zu jeder sekunde, zu jeder sekunde beruhige ich jedes einzelne
schreckhafte molekül dieser welt, jeden einzelnen fehlalarm
dieser welt, jeden einzelnen übergang, und auch dich –
(aus: Carl-Christian Elze, langsames ermatten im labyrinth. Gedichte, zweisprachig (deutsch/italienisch). Verlagshaus Berlin 2019)
Es fängt beim ersten Augenöffnen an und gelangt über Gewirr von Gängen bis hin zur Luft, die einen verlässt. Welche Bilder fallen euch ein zum Thema menschliche Existenz, den Stationen des Lebens
oder auch seinen einzelnen Momenten? Bei Carl-Christian Elze mischen sich poetische Worte mit
Begriffen aus der Wissenschaft wie Sehpurpur und Molekül. Auf welche Weise teilt ihr das Leben ein?
Und wie viel Himmel oder was sonst noch kommt darin vor? Welche Bilder fallen euch ein?
Welche Wörter treffen für euch am besten den Nerv des Seins?
Schickt uns im Oktober eure Gedichte zum Thema „ich bin deine wolke aus nichts“. Wer spricht
vom Leben auf welche Weise und wie machen sich das Sein oder auch das Nichts bemerkbar?
Wir sind gespannt auf eure Texte!
Downloads
Carl-Christian Elze (geboren 1974 in Berlin) studierte zunächst Medizin, Biologie und
Germanistik in Leipzig und von 2004 bis 2008 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er
schreibt Gedichte, Prosa, Drehbücher und Theaterstücke.
Seit 2006 erschienen mehrere Gedichtbände, u.a. „gänge“ (Connewitzer Verlagsbuchhandlung
2009), „ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist“ (luxbooks 2013), „diese kleinen,
in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde“ (Verlagshaus Berlin 2016; 2., überarbeitete
Auflage 2019) und „langsames ermatten im labyrinth“ (Venediggedichte, Verlagshaus Berlin 2019).
Seine Gedichte vernetzen Materie und Metaphysik. Konkrete Motive aus Natur und
Tierwelt sind scheinbar Nebenschauplätze in einem lyrischen Konstrukt, das das große Ganze
ins Licht rückt und das Wissen um die Zerbrechlichkeit des Lebens mit beeindruckender
Zärtlichkeit transportiert. Seine letzte Prosapublikation „Oda und der ausgestopfte Vater.
Zoogeschichten“ erschien 2018 bei kreuzerbooks.
Für sein Schreiben wurde er u.a. mit dem Lyrikpreis München (2010), dem New York-
Stipendium der Max Kade-Foundation (2010), dem Joachim-Ringelnatz-Nachwuchspreis (2014),
dem Rainer-Malkowski-Stipendium (2014) und einem Venedig-Stipendium (2016) ausgezeichnet. Zusammen mit Janin Wölke und Christian Kreis veranstaltet Elze die Lesereihe
„niemerlang“ in Leipzig. Er ist Monatsjuror beim lyrix-Bundeswettbewerb für junge Lyrik und
Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.
MdbK – MUSEUM DER BILDENDEN KÜNSTE LEIPZIG
Das MdbK zählt zu den ältesten und bedeutendsten Bürgersammlungen Deutschlands und befindet
sich heut im 2004 eröffneten Neubau, der eine klassische Museumsarchitektur mit hohen Terrassen
und Lichthöfen verbindet. Hier werden auf mehr als 7.000 Quadratmeter die Sammlungen sowie Wechselausstellungen mit internationaler Ausstrahlung präsentiert. Zu entdecken sind Meisterwerke
vom 15. bis zum 21. Jahrhundert.