Unsere Gewinner*innen im Oktober 2019

Wettbewerb im Oktober 2019

„ich bin deine wolke aus nichts“ – lautet das geheimnisvolle Versprechen in Carl-Christian Elzes Gedicht kleiner klappaltar. Auch in euren Versen tönen Stimmen und Dialoge durch verschiedene Aggregatzustände und werden zu Geflechten aus Worten, Beziehungen und Veränderungen.

Dort heißt es „Ich bin Lungenblähen … ich bin das Wattehöhlespinnen“, hier wird behauptet “wenn es regnet, hydrieren wir uns“. Beschrieben werden verschiedene Zustände mit und ohne Stofflichkeit, die sich verändern und ineinanderfließen „heben dich empor wie lichtsilben / sprechen in einer vogelfreien fort-und-dahin-sprache“ und „nur kalte Meteoriten aus Erinnerungen Schweben umher“… Zustände bis hin zur völligen Auflösung: 
„zieh am seidenen faden / bis nichts mehr da ist / was du fassen kannst“.

Schaut den Wolken hinterher und denkt und spürt den berührenden Versen nach: 
„Setz dich einfach hin und schau eine Weile zu, bis sich alles dreht“:

Glieder

Selin Eslek
2003

Ich bin

Lungenblähen

Ich bin

Die Sonne vor dem Fenster und die blutige Kälte

Knochen aus Wortflut, starre Augen und ein haariges Herz

Ich bin

Lungenblähen immer tiefer

Flügelfuß und gefütterte Himbeermacarons und gehaltene Hände und fließende Bilder und das aufgeschürfte Knie und das Kreischen und Quietschen und das lauthals Stillsein.

                Ich bin das Wattehöhlespinnen. 
                Vor die Augen und den Geist. 

Aus meinem Haupt wachsen Veilchen.

Ich bin

Lungenblähen

Momentaufnahme.

Die schnarrenden Schritte durch den Schnee und Wortspiel und Vergangenheit und so viel Angst und Liebe.

Ich bin das geplatzte Herz des Silvesterfeuerwerks und der Vorhang des Stadttheaters und das Kennenlernen.

Ich bin so viel Angst und Liebe.

Ich bin

Die Wurzeln im Waldboden und das Bestehen.

Lungen blähen Gewitter.

Keine Wolken zu sehen.

Nur die Veilchen auf meinem Kopf.

papas zimmer

Ronja Lobner
2002

2004

wenn es regnet, hydrieren wir uns &

fangen mit ausgefahrenen angelruten regenbogenfische; 
zählen ihre schuppen

wir wollen oktopoden sein

& 8 arme haben

& 8 gehirne

oktaven tiefer spielen am klavier in deinem zimmer aus quadrat 3m3 

zuckerwattewolken essen auf dem drehstuhlkarusell, 
singen & lallen in der wärme deines schoß.

kaffee schmecken. verbittern. fliegen baden im milchschaum, die wand beschmiert mit fingerfarbe, verklebt. in dem schwarz weiß portrait hatte ich mein lächeln verlegt

du hast es wiedergefunden & es war noch größer

starre aus dem fenster; hab den durchblick


2010

weiße senkrechte fließen auf fliesen; ein dreibeiniger stuhl bohrt splitter in eingegangene hände; ein ausgetrunkener wasserhahn wirft keine

tropfen; verdampfen an der stabheizung in diesem zimmer aus quadrat 3m3

der tisch gedeckt mit aufbackbrötchen, milchschaum 
(niemand trinkt kaffee)

mama kocht zu viel für zwei. mit filzer

manifestiert an der wand „alle vier wochen reicht.“

eine kaputte angel spannt sich über herausgebrochene klaviertasten

schwarz weiß schwarz weiß schwarz weisst du noch?

die stützräder liegen vor dem fenster ohne rahmen 
abgespühlt mit aceton 
wolken regnen nicht mehr der oktopus zerfasert sich

stofftentakel (be)greifen nichts mehr. zwei fliegen

schmelzen auf dem boden zu einem schwarzen loch.


2019

wenn ich dich jetzt lächeln seh, dann nur mit dem glas in der hand (du behälst den durchblick).

ich singe wonderwall.

Die Platane

Nadine Saliba
2002

WIR

Wurden unter einer Platane geboren 
Mit schlagender Brust, wie die römischen Vorfahren 
Eingewickelt in die roten Gewänder der Evolution 
Um eine einzelne bewusste Wolke zu formen 
Kerzenwachs tropft herab, 
Langsam-abwärts 
Während Wiegenlieder sehr leise in der 
Entfernung gesummt werden

SIND

Die Tränen des Himmels am trocknen, Mama? 
Ja, ihr Kind stirbt in Atlas‘ Händen 
Aber wir sind verbunden in den rostigen Fesseln der Offenbarung 
Zigaretten und Industriekriege umhüllen uns alle wie der Nebel 
Wir. Sind. Blind. 
Denn so wie ich diese weltliche Weisheit empfange 
Lasse ich meine Seele und mein Herz zurück 
Verbannt zu den Konkaven meines Körpers 
Und wir driften langsam auseinander

WOLKEN

Der Zeit verschieben sich, rollen, bewegen sich 
Abgedunkelt wie ein Halbmond 
Um zusammenzubrechen wie implodierende Sonnen 
Ich kann nicht länger sagen, ob wir Wohlstand sind 
Oder in einer Geschenkbox verunglimpfen. 
Wenn wir älter werden, flüstere ich unseren Vorfahren zu. 
Ringe wickeln sich um meinen Kofferraum 
Meine Lieben, Hoffnungen, Träume, Leben

Unter einer Platane sitzend 
Die Wolken werden endlich abgeworfen 
Während die Aschen flackern und Bergahorn singen 
Ich werde zu verlorenen Schlafliedern mitsingen 
Setz dich einfach hin und schau eine Weile zu, bis sich alles dreht:

wie sonst nur das benzol

Tim Schäfer
2000

zieh ganz langsam am seidenen 
faden bis nichts mehr da ist was du fassen kannst 
reiß die schatten die ich geworfen habe 
auseinander bis sie sich in luft 
auflösen setz dich zu den gewesenen 
und sprich zu ihnen tröste sie 
zieh ganz langsam am seidenen 
faden binde dir einen knoten in den 
schmerz bis du ihn erstickst 
du wirst die ausströmenden atome 
am anfang aufsaugen wie sonst 
nur das benzol das an deinen lungenlappen 
leckt dein zwerchfell zittert hartnäckig 
sieh noch ein letztes mal in die 
gläsernen pupillen und brich die 
angst auf lass sie zerborsten 
am boden liegen und zieh, 
zieh am seidenen faden 
bis nichts mehr da ist 
was du fassen kannst

kommet, ihr wolken

Bea Schmiedl
2000

unter dem verdammten sternenzelt existieren die vogelschwärme madenartig, zwitschernd kondensieren sie das wolkendickicht der dünn-fasrigen eiskristalle 
hin und wieder blicken sie dich an wie sternschnuppen, 
heben dich empor wie lichtsilben 
sprechen in einer vogelfreien fort-und-dahin-sprache, 
die nur das weiße da oben zu hören bekommt 
das weiße da oben 
ist mir fremd geworden, meine lunge ekelt es davor 
während die erde geschwülste ausspuckt, blicke 
ich in Bildschirme 
um nicht sehen zu müssen, wie sie sich selbst zerstört 
meine zivilisationskrankheit ist ein tunnelblick 
(du bist cumuluswolke, ich berggipfel) 
hände, die sich ins vakuum wünschen 
die herzen so schwer, kaum tragbar eigentlich. 
und während wir uns verlieren wie sandkörner 
fallen durch finger 
legen die wolken einen schatten auf dein gesicht. 
sie decken dich zu, 
tie me up in your lies / again and again 
irgendetwas lächelt da im wellenblech 
es lächelt mir zu 
ich fletsche nur die zähne seit jahren 
selfietauglich 
wieso muss man eigentlich immer kämpfen 
kommet, ihr wolken 
ihr seid doch nur windhauch, 
windhauch und luftgespinst.  

Ein Vakuum mit Krümeln

Kristina Vasilevskaja
2001

Jeder Blick den du wirfst 
und es ist nur ein Blick, den du von dir gibst 
kein Lächeln mehr, 
keine Hand an meinem Rücken, 
an meinen Schultern, 
meinem Hals 
Spuren deiner Finger auf meiner Haut sind verblasst, 
lange schon 

Zeit in der mein Kopf Episoden zeigte 
deine Erscheinung in mir projizierte, 
jede Nacht derselbe Film 
nur mit immer neuen Skripten 
Ich jagte 
Nach dem, was noch übrig zu sein schien 
Für mich 
Doch da war nichts 
Ein Vakuum 
Bei dem ich dachte es sei noch etwas drin,                                         letzte Krümel in der Keksdose 
Sehe was gar nicht mehr existiert, nach all der Zeit 
Ich dachte alles sei verwest und vorbei doch 
finde ich deinen Blick aus der Menge Tausender Gesichter 
geschriebene Worte auf blauem LED -Licht 
geben mir leere Hoffnungen 
leeres etwas, was gar nichts bedeuten kann, denn du bist schon lange fort von unserem Vakuum gibt kein „uns“ mehr 
und doch existiert da ein leeres Universum – 
nur kalte Meteoriten aus 
Erinnerungen schweben umher 
Ich sage dort ist nichts mehr 
um nicht mehr festzuhalten 
Nichts und doch schreibe ich Worte aus Gedanken, die mich 
an dich denken lassen 
Von etwas das mal wir zu sein schien

Du denkst an mich 
schriebst du mir 
doch weiß ich nicht ob du fühlst dass dieses Vakuum nicht nur mit Luft sich füllt 
Meine Gedanken schweben hin und her und eine Antwort werde ich wohl nicht erhoffen können
Möglich, dass noch Krümel in der Dose sind aber 
ohne deine Hand die danach greift 
Werde ich niemals lecken können nach dem was noch übrig is

Wir danken euch für eure Gedichte und gratulieren den sechs Gewinner*innen: Selin Eslek, 
Ronja Lobner, Nadine Saliba , Tim Schäfer, Bea Schmiedl und Kristina Vasilevskaja!

Schreibe, um zu träumen.