es bis aufs Letzte kennenlernen
Die Jury hat entschieden!
Die Gewinner*innen werden bald bekannt gegeben.
Die Jury hat entschieden!
Wettbewerb im September 2024
Menschenfressende kindliche Wesen, die sich auf die Erde hinabstürzen. Das könnte der Stoff eines neuen Horror-Blockbusters sein – oder eines Gedichts! Diesen Monat möchten wir euch zusammen mit dem Lyriker Georg Leß dazu anstiften, fantastische Ungeheuer zu erdichten. Ob bedrohlich oder zahm ist dabei ganz egal, Hauptsache sie entstammen einer fremden Welt.
Fabelwesen sind fester Teil der Kunst- und Literaturgeschichte und ziehen seit jeher Leser*innen, Zuschauer*innen und Zuhörer*innen in ihren Bann. Aber nicht nur die Geisteswissenschaften, die Volkskunde und die Mythologie befassen sich wissenschaftlich mit unbekannten Wesen oder Tierarten, auch ein Zweig der Zoologie widmet sich dem Unnatürlichen oder (Noch-)Nicht-Nachweisbarem: die Kryptozoologie. Sie erforscht unbekannte Lebewesen, die man bisher nur aus Geschichten oder Erzählungen kennt, und identifiziert, ob es Existenzbeweise dieser Arten gibt. Die bekanntesten dieser Kreaturen sind dabei bestimmt das Seeungeheuer von Loch Ness, Bigfoot und der Yeti – oder Riesenkraken und Drachen. Da die Kryptozoologie das Kriterium der Nachprüfbarkeit nicht erfüllen kann, gilt sie als Pseudowissenschaft. Aber wer weiß? Vielleicht gelingt ja doch jemandem bald der Nachweis, dass es Nessie wirklich gibt…?
Nicht mit fantastischen Tierarten, aber mit auf die Erde herabfallenden Kindern mit Flügeln befasst sich der Monatslyriker, den wir euch im September vorstellen: Georg Leß. In seinem Gedichtband „Die Nacht der Hungerputten“ entwickelt er ein Szenario, in dem Putten auf der Erde versuchen Fuß zu fassen. Hierbei sind sie auf der Suche: nach Essen, nach Sprache, aber auch nach Sinn. Weiter unten könnt ihr ein Gedicht des Bandes lesen, das uns einen Ausschnitt davon zeigt, was nach dem Fall der Putten auf die Erde geschieht. Wie mag es wohl weitergehen mit ihnen und der Welt, wie wir sie kannten?
Entwickelt diesen Monat euer eigenes Gedichtwesen – oder gleich mehrere davon, so wie Georg Leß. Denkt euch eine Welt aus, in der das oder die Wesen leben, und lasst sie sprechen. Oder schreibt gegen sie an. Oder lasst ein Wesen beweisen, dass es wirklich existiert. Eurer Fantasie sind wie immer keine Grenzen gesetzt. Und wenn es euch die Putten von Georg Leß angetan haben: Lasst sie mehr Fleisch fressen oder einen vollkommen anderen Weg auf der Erde einschlagen. Wir wünschen euch viel Freude – und ganz genau so viel Grusel, wie ihr ihn euch zutraut – beim Dichten zum Thema „es bis aufs Letzte kennenlernen“!
wer mitschreibt
Georg Leß
warst das nicht du, eine schaurige Idee
in der Regenzeit am Genfer See? einen Ausweg mit Ärmchen beschreibend
wovon unbeeindruckt die Beinchen
knietief in handlungsreicher Vorzeit, grob
lassen sich die Puttenkriege in diese fünf Epochen gliedern: gegen
die Leere, gegen den Stein, gegen das Öl, in dem er treibt
gegen Feind, gegen die Narbe, die von diesem übrigbleibt
sich grob wiederholt, frisst eine Putte eine Person
wird die Person zur Putte, Biochemie, die Putte zur Person, Jagdmagie
was frisst die Person?
weiland von Langeweile in die Flucht geschlagen, in Atem halten uns derzeit
die letzten Rätsel der Ernährung; dass sie zunehmend vertrauter
schmeckt, sich nicht mehr wehrt
die letzten Fragen von Satzbau und Wohnraum, wir müssen uns verwinkeln oder weg
ich sollte ohne Schreibtisch gar nicht aus dem Haus, sagst du, schreib auf:
die Möbelpacker greifen nach den Sternen, in goldenen Hausstaub
ich sollte gar nicht aus dem Haus, es bis aufs Letzte kennenlernen, füllen
schien unser Ziel nicht mehr ein Sieg, vielmehr rein dekorativ?
aus: Georg Leß, die Nacht der Hungerputten. © kookbooks – Berlin 2023.
Weiterführende Informationen
Georg Leß wurde 1981 in Arnsberg geboren und lebt in Berlin. Er ist der Autor von vier Gedichtbänden: Schlachtgewicht (parasitenpresse 2013), die Hohlhandmusikalität (kookbooks 2019), die Nacht der Hungerputten (kookbooks 2023) sowie Lindwurmsichtungen und Berichtigungen (Corvinus Presse 2024). Seine Gedichte wurden übersetzt, vertont, verfilmt und u.a. mit dem Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler ausgezeichnet.
Georg Leß, Foto: Dirk Skiba