Körpergedächtnis

DAYS HOURS, MINUTES, und  SECS
[[deadline:2024-04-30 24:00:00]]

Wettbewerb im April 2024

Muss ein Gedicht zwingend aus Wörtern und Sätzen bestehen? Muss es nicht! Diesen Monat möchten wir euch zeigen, dass ein Gedicht auch aus Hand- und Körperzeichen, Bewegungen und Bildern gemacht sein kann: Wir stellen euch eine Gebärdenpoesie der Künstlerin Kassandra Wedel vor. Und wir möchten mit euch etwas ausprobieren: Wir bitten euch, ihr Gedicht von Gebärdensprache in Schrift zu übersetzen.

Gebärdensprachpoesie – also Gedichte von Menschen, die Taub* sind – einem größeren Publikum zu zeigen, das möchte die Initiative „handverlesen“. Sie bringt Poesie in Gebärdensprache auf die Bühne und „übersetzt“ diese Gedichte auch in Lautsprache. Hierbei geht es nicht nur um die Übersetzung von einer visuellen in eine schriftliche Sprache und umgekehrt, sondern auch um eine Übersetzung zwischen Hörenden- und Taubenkultur, und das geschieht nicht immer auf Augenhöhe, sondern häufig vor einem Hintergrund von lautsprachlicher Dominanz. Die Gründerinnen Franziska Winkler und Katharina Mevissen finden, dass es in der hörenden Welt bisher zu wenig Raum für Künstler*innen gibt, die mit Gebärdensprache arbeiten. Deshalb bringen sie Text „in Bewegung“: Sie veranstalten Werkstätten und Veranstaltungen mit hörenden und Tauben Autor*innen, Performer*innen und Übersetzer*innen und veröffentlichen mehrsprachige Bücher. Dabei stellen sie die traditionelle Definition von Literatur als Text in Frage und finden eine lyrische und erzählende Sprache jenseits von Schrift und Wort.

Auf ihrer Website gibt es viele Videos von Gebärdensprachpoesie sowie Übersetzungen von Gebärdensprachpoesie in Textform und umgekehrt. Eine der dort vertretenen Künstlerinnen, Kassandra Wedel, hat uns dabei zu unserem aktuellen Monatsthema inspiriert. Im Folgenden könnt ihr euch eine Werkstattaufnahme ihrer Gebärdenpoesie „Erinnern“ ansehen. An dieser Stelle würden wir euch eigentlich einige erste Gedanken zum Gedicht an die Hand geben, dieses Mal verzichten wir bewusst darauf, damit ihr euch der Gebärdenpoesie selbst nähern könnt. Zu den Hintergründen und der speziellen Machart schaut euch später gern Kassandra Wedels Schreibimpulse weiter unten an.

Überführt diesen Monat Kassandra Wedels Gebärdenpoesie „Erinnern“ in die Schriftsprache. Woran erinnern euch ihre Gebärden, woran ihre Mimik? Was drückt das Video für euch aus? Wie lassen sich Bewegungen in Text übersetzen? Wie kann man das Dreidimensionale der Gebärdenpoesie in einem linearen Text abbilden? Vielleicht ist es ein einzelner Ausschnitt, der euch inspiriert, vielleicht der Gesamteindruck des Videos. Wir sind sehr gespannt, welche poetischen Übersetzungen uns erreichen!

Und falls ihr selbst Gebärdensprache sprecht, schickt uns unbedingt ein Video an hallo@bw-lyrix.de, wie ihr poetisch auf das Gedicht in Gebärden reagiert, um am Wettbewerb teilzunehmen!

*Taub, aus dem Glossar von handverlesen
Wir verwenden das Adjektiv Taub in der Großschreibung und beziehen uns damit auf das englischsprachige Begriffskonzept Deaf. Dabei handelt es sich um eine Selbstbezeichnung von „Menschen, die sich den Gebärdensprachen, den Gemeinschaften und Kulturen des Kollektivs der Gehörlosen verbunden fühlen. Viele Taube sehen darin grundlegende Entsprechungen zum Erfahrungsschatz anderer sprachlicher Minderheiten.“* Taubsein, angelehnt an das Konzept Deafhood,** grenzt sich ab von der defizitären medizinischen Sichtweise des Terminus gehörlos und beruft sich auf die Zugehörigkeit zu einer kulturellen Minderheit mit ihrer eigenen Sprache. Taub schließt verschiedene Identitäten und Lebensrealitäten wie gehörlos, schwerhörig, CI-tragend sowie spätertaubt ein.

*  Ladd 2008: xiii 
**  Ladd 2008: xiv

Erinnern
von Kassandra Wedel
Werkstattaufnahme

Kassandra Wedel, „Erinnern“, Werkstattaufnahme, Copyright: handverlesen

Weiterführende Informationen

Kassandra Wedel, Foto: Sergej Falk
Kassandra Wedel, Foto: Sergej Falk

Kassandra Wedel ist freischaffende Lyrikerin, Choreografin, Schauspielerin und Performerin. Taub.

Sie lebt in München, studierte Theaterwissenschaften und Kunstpädagogik an der LMU und hat eine Fachausbildung in Hip-Hop abgeschlossen.

Anfang 2016 war sie im ZDF Tatort Totenstille zu sehen und gewann Ende desselben Jahres die Tanzshow Deutschland tanzt. Damit wurde sie einem breiteren Publikum bekannt. 

Sie spielte an diversen Staatstheatern wie den Münchner Kammerspielen (LUEGEN, Verena Regensburger), Wuppertaler Bühnen (AscheMOND oder The Fairy Queen, Immo Karaman), Stadttheater Fürth in Kinderstücken (Hinterm Haus der Wassermann, Die Wilden Schwäne) und ist in der freien Szene tätig (Fil frz. FadenLady Dada; Visual Vibrations; Was wäre Wenn; Freude). 
Ihre Tanztheaterstücke THE DRESS und Geh-Weg wurden 2017 und 2022 beim Gebärdensprachtheater-Festival DEGETH ausgezeichnet.
Seit 2021 ist sie in der Serienrolle Dr. Lipp bei In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte im TV zu sehen. Sie arbeitete mit Helmut Oehring (Euyridke; Beethoven) zusammen steht mit Ensemble InTransition mit Neuer Musik und Gebärdenperformances auf der Bühne. 

2019 wurde sie zum Gebärdensprachenlyrik-Projekt handverlesen eingeladen, bei dem einige ihrer Gedichte wie WOW und Körpergedächtnis entstanden.

2020 gewann sie einen Opus für das beste Musikvideo des Jahres 2020 (Beethovens Symphonie No. 5) und choreografierte BEAThoven für das WDR 3 Konzert live in der Kölner Philharmonie. 

Kassandra liebt es, zu experimentieren und verschiedene Kunstdisziplinen miteinander zu kombinieren. 

handverlesen versteht sich als eine mehrsprachige emanzipatorische Literaturinitiative, die Texten mehr Bewegungsfreiheit verschaffen will — in Laut- und Gebärdensprache. Sie fordern ein neues Verständnis von Literatur, das nicht nur schriftliche, sondern auch visuelle, gebärdete Texte einschließt: Die hörende Literaturwelt braucht endlich gebärdensprachliche Poesie und Prosa, sowie eine stärkere Präsenz Tauber Künstler*innen auf Bühnen und in Büchern.

Deshalb veranstaltet „handverlesen“ Werkstätten und Veranstaltungen mit hörenden und Tauben Autor*innen, Performer*innen und Übersetzer*innen. Sie wollen neue Literatur in Gebärden- und Lautsprache entwickeln und übersetzen. Sie publizieren mehrsprachige Magazine, Filme und Bücher zum Thema und bauen eine Online-Bibliothek für Gebärdensprachliteratur auf.

poesiehandverlesen.de

Schreibimpulse zum Monatsthema von und mit Kassandra Wedel

Schreibe, um zu träumen.