Raum dazwischen
Die Jury hat entschieden!
Die Gewinner*innen werden bald bekannt gegeben.
Die Jury hat entschieden!
Wettbewerb im September 2023
Habt ihr euch schon mal so gefühlt, als müsstet ihr in schwindelerregender Höhe ungesichert über ein Seil spazieren? Regelmäßig stellt uns das Leben vor Situationen, die uns scheinbar einen waghalsigen Balanceakt zwischen zwei Polen abfordern: Soll ich gehen oder bleiben? Auf welche Seite stelle ich mich bei dem Streit von zwei Freund*innen? Was will ich mit meinem Leben anfangen, nachdem der große Abschnitt „Schule“ geschafft ist? Solche und ähnliche Entscheidungen – das Hin- und Hergerissen sein, das Sich-Bewegen von einer Situation in eine vollkommen neue – kosten viel Energie und scheinen uns bisweilen schwer zu bewältigen. Aber es kann auch ein ganz besonderer Raum in dem „Dazwischen“ entstehen, der sich lohnt zu entdecken. Und genau diesem „Raum dazwischen“ möchten wir uns diesen Monat widmen!
Wer unter Höhenangst leidet, sollte sich das Video rechts besser nicht anschauen: Seiltänzer spannen eine Slackline zwischen zwei aufgestiegenen Heißluftballons und versuchen sie zu überqueren. Sie wagen es ungesichert, mit einem Fallschirm auf dem Rücken. Klappen tut es zwar nicht, aber der Stunt ist trotzdem atemberaubend! Würdet ihr euch trauen?
Der „Raum dazwischen“ ist in diesem Fall ein wackliges Seil, bei dem wir mit Sicherheit zuerst die halsbrecherische Gefahr sehen, die von ihm ausgeht. Wenn wir es aber schaffen, diesen Part für einen Moment auszublenden, sehen wir vielleicht den blauen Himmel, die weiße Wolkendecke, die unglaubliche Weite. Übertragen auf Situationen, in denen wir uns hin- und hergerissen fühlen, zwischen zwei Seiten oder Polen stehen, lohnt sich eventuell auch ein Innehalten und ein genauer Blick auf den Moment: Wie kann ich mich in dem „Dazwischen“ einrichten? Was entdecke ich Neues, wenn ich meinen Blick auf das Hier und Jetzt richte?
Ein großes „Dazwischen“ thematisiert Hanna Jansen in dem Gedicht „Triptychon“, das wir euch diesen Monat als weitere Inspiration vorstellen möchten: Die Zeitspanne zwischen Geburt und Tod – „Beinahe deckungsgleich / das Öffnen der Augen / das Schließen der Augen“. Den Raum dazwischen „halte ich aus“, heißt es zum Abschluss des Gedichts. Was bedeutet dieses „Aushalten“ für euch? Ist es für euch rein negativ konnotiert oder kann es auch positive Seiten haben?
Schickt uns im September eure Gedichte zum Thema „Raum dazwischen“! Habt ihr gerade eine Situation, in der ihr euch „dazwischen“ fühlt? Beschreibt uns, wie dieser Raum aussieht und was das „Dazwischen“ kennzeichnet. Vielleicht seid ihr hin- und hergerissen zwischen zwei Menschen, Entscheidungen, Lebensabschnitten. Richtet euren lyrischen Blick nicht auf die beiden Pole, sondern auf eure Gefühle und Wahrnehmungen im „Dazwischen“. Wie empfindet ihr das Dazwischensein? Ist es anstrengend und belastend oder vielleicht auch aufregend, neu und ermutigend? Öffnet es vielleicht auch den Raum zu entdecken, dass die zwei Pole gar keine sein müssen und man sich auch mal frei „gegen“ so manche vermeintliche Entscheidung stellen kann? Wir sind gespannt auf eure poetischen Zwischenräume!
Triptychon
Das Gesicht
der Neugeborenen
das Gesicht
der Sterbenden
Seitenflügelmomente.
Beinahe deckungsgleich
das Öffnen der Augen
das Schließen der Augen
erster Schrei
und letzter Atemzug.
Den Raum dazwischen
halte ich aus.
Hanna Jansen (unveröffentlicht)
Weiterführende Informationen
Hanna Jansen wurde 1946 in Diepholz geboren und wuchs in Osnabrück auf, wo sie später auch studierte.
Seit über dreißig Jahren publiziert sie Texte und Bücher unterschiedlicher Genres, überwiegend Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Ihre Bücher wurden vielfach übersetzt, ihr Roman Über tausend Hügel wandere ich mit dir 2003 mit dem Buxtehuder Bullen und in den USA 2007 u. a. mit der Goldmedaille des Independent Publisher Book Award ausgezeichnet. Für ihren Roman Herzsteine erhielt sie das Autorenstipendium NRW.
Zwei ihrer Romane dienen seit Jahren als Unterrichtslektüren. Herzsteine wurde 2021 als Prüfungslektüre für das Fach Deutsch in das Curriculum des Landes Baden-Württemberg aufgenommen.
Als Autorenpatin bei Kultur macht stark leitet sie seit 2017 Schreibwerkstätten für Kinder und Jugendliche und ist Herausgeberin zahlreicher dabei entstandener Anthologien.