als gäbe es schnee nicht
Die Jury hat entschieden!
Die Gewinner*innen werden bald bekannt gegeben.
Die Jury hat entschieden!
Wettbewerb im August 2020
öffne die tür, mit ihrem mürben klingen
sieh dir den innendunst an
ein raum wie ausgemalt von ideen
der himmel nach oben geträumte tiefe, eine ferne
ahnung von grundlawinen, ständiges
wachsen und schichten von erde, denk an den
landweg, schau wie vom meer dort hinein, man baute
an einem korallenstock, von vielen stellen zugleich
stießen sie vor, schaltkreise, schleusen von licht
hatten die alten massen durch-
brochen, räume wie glas, mit ihrem kurzen
strahlen, als wäre nicht tag, als gäbe es schnee nicht
und lungen, keine strömung, stau. folge den trupps
auf dem weg nach unten, jedes ding bewegte sich
mit seinem eigenen drang, ein öffnen von schächten
buchten, gespür für veränderte routen. denk wie
der tonsand, fern in der ahnung von muschelschichten
denk wie muskeln und kalk, zelle um zelle
baute sich an, traum von geweben, häuten, wo du hinein-
gehst, siehst du nicht mehr hinaus, als wäre alles mit allem
verbunden, virus der weltpost, nicht mehr grund und keine
nacht in gedanken, ständig im kreisen, wachsender stoff
der sich trug, vom atlantischen wasser umfaßt, nach dem erdmüden
meer geschlossen, als wäre es sand, als würde das licht sich
verstärken, wege wie luft in den raum zeichnen
(aus dem Zyklus „nachts leuchten die schiffe“, erschienen im gleichnamigen Gedichtband, C.H. Beck 2017)
Unser Monatsgedicht im August ist ein Auszug aus Nico Bleutges Gedichtband „nachts leuchten die schiffe“. Im Text mischen sich Naturbeschreibungen und Sinneseindrücke, Gesehenes, Gespürtes. Wahrnehmungen und Gedanken folgen dicht an dicht. Dabei lassen sie sich nicht klar deuten: Nico Bleutge erzählt keine Geschichte, er liefert keine zusammenhängende Beschreibung der Wirklichkeit. Vielmehr bewegt er sich in einprägsamen, sinnlichen Bildern: Geräusche, Beobachtungen, Raumempfindungen, Licht. Wir werden beim Lesen in seine Lyrik hineingesogen, wobei unsere eigenen Erinnerungen und inneren Bildwelten geweckt werden.
Bedeutungen bleiben eher spürbar als lesbar. Dabei fließen die Zeilen und erzeugen einen Rhythmus, in dem auch der Klang immer bedeutsam ist – unten findet ihr ein Video, in dem Nico Bleutge seinen Text vorträgt. Aber lest das Gedicht auch ruhig selbst mal laut und achtet auf den Klang und die Betonung einzelner Worte und Silben. So frei und spontan der Textfluß wirkt, er ist doch sehr sorgsam komponiert und frei von Zufälligkeiten. Mit seinem Gespür für Sprache, ihren Klang und ihre Mehrdeutigkeit schafft Nico Bleutge Stimmungs- und Gedankenräume, die sich bei jedem Lesen anders öffnen.
Zu was inspiriert euch der Text? Prägen sich euch einzelne Bilder, Stimmungen oder Bedeutungsfetzen besonders ein? Schreibt uns eigene Gedichte, vielleicht geben euch dabei auch die Schreibimpulse im Video unten Inspiration!
lyrix trägt vor: Nico Bleutge – ohne Titel (öffne die tür…):
Schreibimpulse von und mit Nico Bleutge:
Nico Bleutge: wurde 1972 in München geboren. Seit 2001 arbeitet er als Freier Autor (Lyrik, Essayistik, Literaturkritik). Nico Bleutge unterrichtete am Studio Literatur und Theater der Universität Tübingen und an der Bayerischen Akademie des Schreibens. Er erhielt u.a. den Erich-Fried-Preis (2012), den Kranichsteiner Literaturpreis (2017) und das Stipendium der Villa Massimo in Rom (2018/2019). Zuletzt veröffentlichte er den Gedichtband nachts leuchten die schiffe (C.H. Beck 2017) und den Essayband Drei Fliegen (C.H. Beck 2020).
Unser Kooperationsmuseum im August: Das Museum in der Kulturbrauerei Berlin
Das Exponat zum Monatsthema ist kein Kunstwerk, sondern ein Gebrauchsgegenstand. Er stammt aus der Dauerausstellung „Alltag in der DDR“ im Museum der Kulturbrauerei in Berlin. Es handelt sich um ein praktisches Autodachzelt, das das Reisen in der DDR revolutionierte:
(Text T. Bauer/Museum): „Einen Zeltplatz zu finden, war in der DDR mit viel bürokratischem Aufwand verbunden: Bereits Wochen vor der eigentlichen Reise mussten Urlauber bei der Zentralen Campingplatzvermittlung einen Antrag einreichen. Nicht alle bekamen einen Platz. Die strenge Reglementierung rief mitunter außergewöhnlichen Erfindergeist hervor: Aus der Not heraus entwickelte der Schlosser Gerhard Müller 1976 das Autodachzelt und ermöglichte damit ostdeutschen Campingliebhabern erstmals eine unabhängigere Urlaubsgestaltung. Dem harten Wettbewerb nach der Wiedervereinigung hielt der Familienbetrieb jedoch nicht Stand – trotz Fangemeinde musste Gerhard Müller seinen Betrieb im Sommer 1990 schließen. Knapp 1.800 Dachzelte hatten bis zu diesem Zeitpunkt seine Werkstatt verlassen.“
Gerhard Müller, Autodachzelt, 1976, Foto: Stiftung Haus der Geschichte / Stephan Klonk
Das Museum in der Kulturbrauerei
Die Dauerausstellung Alltag in der DDR im Museum in der Kulturbrauerei zeigt das Leben der Ostdeutschen in den 1970er und 1980er Jahren im Betrieb, in der Öffentlichkeit und im Privaten. Besucherinnen und Besucher erfahren hier, wie das SED-Regime den Alltag prägte, wie die Menschen mit Mangel und Grenzen umgingen und wo sie Freiräume fanden. Anhand zahlreicher Original-Objekte in verschiedenen Themenräumen erzählt das Museum über Freizeit und Improvisation, den Wohnungsbau und das Arbeitsleben in der Diktatur. Alltagsgegenstände werden durch historische Dokumente, Zeitzeugen-Berichte und zeitgenössisches Filmmaterial ergänzt, um den DDR-Alltag aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. (Text Museum)