es bis aufs Letzte kennenlernen

DAYS HOURS, MINUTES, und  SECS
[[deadline:2024-09-30 24:00:00]]

Wettbewerb im September 2024

Wohin würdet ihr gerne einmal reisen? An weiße Strände mit türkisblauem Wasser oder auf schneebedeckte Berge? Oder vielleicht in die coole Großstadt mit den riesigen Wolkenkratzern? Beim Reisen denken wir ans Unterwegssein, an neue Entdeckungen, ans „Rauskommen“. Was passiert aber, wenn wir uns dort auf Reise begeben, wo wir tagtäglich sind: zu Hause? Was, wenn wir nicht die weite Welt bereisen, sondern die Schubladen der Kommode im Flur, den Schreibtisch der Mutter oder die verstaubten Kisten unter dem Bett?

Blick in ein Zimmer, Foto: istock/klyaksun

Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlichte Xavier de Maistre seine Novelle „Reise um mein Zimmer“. Darin erzählt er, wie er aufgrund eines Duells mit einem sechswöchigen Hausarrest bestraft wurde und dies zum Anlass nahm, seine eigenen vier Wände zu bereisen. Probiert es doch diesen Monat auch mal aus! Eure Zimmerreise kann natürlich deutlich kürzer ausfallen und muss nicht sechs Wochen dauern.

Und wenn ihr euch jetzt fragt, wie ihr überhaupt mit eurer Zimmerreise anfangen könnt, hier ein paar Ideen: Stattet euch mit Papier, Stift und/oder Handy aus und streift durch eure Wohnung. Notiert euch Gegenstände, die eure Aufmerksamkeit wecken, vielleicht mögt ihr auch ein Foto von ihnen machen. Warum sind euch diese Gegenstände aufgefallen? Was fällt euch dazu ein? Verraten diese Dinge eine Geschichte?

Ganz besonders spannend könnte es auch sein, ein „fremdes“ Zimmer zu entdecken. Vielleicht mögt ihr eine*n Freund*in, eure Eltern oder Großeltern fragen, ob ihr ihr Zimmer bereisen dürft. Was könnt ihr Neues erfahren über den Menschen, der in diesem Zimmer wohnt?

Auch unser Monatsgedicht „wer mitschreibt“ des Lyrikers Georg Leß beschreibt die Erkundung einer fremden Welt. Das Gedicht ist ein Auszug aus einem Buch, in dem ein Szenario entworfen wird, in dem kinderförmige Wesen mit Flügeln auf die Erde hinabstürzen und versuchen, sich zurechtzufinden. – Mit welchen Folgen, das könnt ihr unten lesen.

Öffnet Schränke, guckt in die hinterste Ecke des Kühlschranks, schiebt die schweren Vorhänge zur Seite, wühlt in der Kiste mit dem aussortierten Spielzeug: Begebt euch diesen Monat auf eine Reise durch ein Zimmer, das euch vielleicht bereits vertraut erscheint, und lernt es bis aufs Letzte kennen. Was sagt es über ihre*seine Bewohner*in aus? Welche Geschichten erzählen die Gegenstände, die eure Aufmerksamkeit wecken? Ihr könnt euch einzelnen Dingen widmen oder das ganzes Zimmer mit seiner Architektur, Lichtstimmung und seinen Gerüchen beschreiben. Wir freuen uns auf eure lyrischen Zimmerreisen und wünschen euch viel Spaß beim Dichten zum September-Thema „es bis aufs Letzte kennenlernen“!

wer mitschreibt

Georg Leß

warst das nicht du, eine schaurige Idee
in der Regenzeit am Genfer See? einen Ausweg mit Ärmchen beschreibend
wovon unbeeindruckt die Beinchen
knietief in handlungsreicher Vorzeit, grob
lassen sich die Puttenkriege in diese fünf Epochen gliedern: gegen
die Leere, gegen den Stein, gegen das Öl, in dem er treibt
gegen Feind, gegen die Narbe, die von diesem übrigbleibt
sich grob wiederholt, frisst eine Putte eine Person
wird die Person zur Putte, Biochemie, die Putte zur Person, Jagdmagie
was frisst die Person?

weiland von Langeweile in die Flucht geschlagen, in Atem halten uns derzeit
die letzten Rätsel der Ernährung; dass sie zunehmend vertrauter
schmeckt, sich nicht mehr wehrt
die letzten Fragen von Satzbau und Wohnraum, wir müssen uns verwinkeln oder weg
ich sollte ohne Schreibtisch gar nicht aus dem Haus, sagst du, schreib auf:
die Möbelpacker greifen nach den Sternen, in goldenen Hausstaub
ich sollte gar nicht aus dem Haus, es bis aufs Letzte kennenlernen, füllen
schien unser Ziel nicht mehr ein Sieg, vielmehr rein dekorativ?

aus: Georg Leß, die Nacht der Hungerputten. © kookbooks – Berlin 2023.

Weiterführende Informationen

Georg Leß wurde 1981 in Arnsberg geboren und lebt in Berlin. Er ist der Autor von vier Gedichtbänden: Schlachtgewicht (parasitenpresse 2013), die Hohlhandmusikalität (kookbooks 2019), die Nacht der Hungerputten (kookbooks 2023) sowie Lindwurmsichtungen und Berichtigungen (Corvinus Presse 2024). Seine Gedichte wurden übersetzt, vertont, verfilmt und u.a. mit dem Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler ausgezeichnet.

Georg Leß, Foto: Dirk Skiba

Lesung und Schreibimpulse zum Monatsthema von und mit Georg Leß

Schreibe, um zu träumen.