Im Februar möchten wir uns dem Thema Alltagsrassismus widmen und uns die Fragen stellen: Was genau ist Alltagsrassismus? Wie können wir ihm begegnen? Welche Erfahrungen mussten wir damit machen? Gleich zwei starke Begleitimpulse, die ihr als Anregung für euer eigenes Gedicht nehmen könnt, möchten wir euch hierzu vorstellen: Das Gedicht „im juni brennen die felder“ der Lyrikerin Ronya Othmann und das Projekt #wasihrnichtseht von Dominik Lucha. Lest im Folgenden mehr und lasst uns im Februar daran teilhaben, wie eure eigene Sprache zum Thema „als hättest du es dir eben ausgedacht“ aussieht!
Wie ist es, wenn man regelmäßig gefragt wird, aus welchem Land man kommt, obwohl man in Hamburg geboren und aufgewachsen ist? Wie ist es, wenn man für sein gutes Deutsch gelobt wird, obwohl man Deutsch doch als Muttersprache spricht? Wie ist es, wenn man aus zunächst unerfindlichen Gründen eine Wohnung oder einen Job nicht bekommt, obwohl man eigentlich bestens dafür geeignet wäre?
All das sind Beispiele für Erfahrungen von Rassismus, die Schwarze Menschen, People of Color und Menschen mit Migrationsgeschichte regelmäßig machen. Nicht immer ist dieser Alltagsrassismus leicht zu erkennen. Manchmal zeigt er sich deutlich in Form von Beleidigungen, Herabwürdigungen und körperlicher Gewalt, manchmal verbirgt er sich hinter Vorurteilen, die sich auch in scheinbar harmlosen Fragen oder Witzen äußern können. Von einigen Menschen, die nicht unmittelbar von Rassismus betroffen sind, wird er heruntergespielt. Und für manche bleibt er unsichtbar.
Diesen Monat möchten wir gemeinsam mit euch den Blick dorthin richten, wo Menschen Ausgrenzungserfahrungen erleben und strukturell diskriminiert werden, weil sie von dem vermeintlich Normalen abweichen. Welche Worte findet ihr dafür, eure eigenen Erfahrungen mit und Gedanken zu Rassismus lyrisch zu verarbeiten?
Quelle: www.instagram.com/wasihrnichtseht
Der poetische Ausgangspunkt für unser Thema ist das Gedicht „im juni brennen die felder“ der Lyrikerin Ronya Othmann, das ihr unten in Gänze lesen könnt. Daraus stammt auch die titelgebende Zeile „als hättest du es dir eben ausgedacht“. Das Gedicht endet mit der nächtlichen Situation an einem Grenzposten: „wenn du / versehentlich die falsche sprache sprichst.“ Dabei lässt das Gedicht auf eine bedrückende Art offen, was passiert, wenn man dort die „falsche“ Sprache spricht.
Als zweiten Impuls möchten wir euch das Projekt #wasihrnichtseht von Dominik Lucha vorstellen. Auf seinem Instagram-Kanal können Schwarze Menschen anonym von ihren Rassismus-Erfahrungen in Deutschland berichten und weiße Menschen können lernen, antirassistisch zu werden.
Was sind eure Erfahrungen, Wünsche, Gedanken zu diesem Thema? Wie können wir in Zukunft ein gerechteres Miteinander ohne Diskriminierung gestalten? Schickt uns eure Texte darüber, was in euren Köpfen vorgeht!
im juni brennen die felder
Ronya Othmann
du suchst, was nicht mehr zu finden ist. in diesem land, das sich von checkpoint zu checkpoint erstreckt. dein kopf, der auf das polster sackt, dein schlaf wie diese gleise, die sich in der wüste verlieren. ka-dingir-ra, als hättest du es dir eben ausgedacht, als du nicht mehr weißt, wie lange du schon gefahren bist, wie ein zug, den du schon von weitem siehst, die kleinen schwarzen fenster, gesichter, hände, winken und taschentücher, die der fahrtwind nimmt. wie das wasser auf der straße, das verschwindet, wenn du näher kommst. und der soldat, der dich an der grenze weckt, und wenn du versehentlich die falsche sprache sprichst.
Ronya Othmann wurde 1993 in München geboren und lebt in Leipzig. Sie erhielt u. a. den MDR-Literaturpreis, den Caroline-Schlegel-Förderpreis für Essayistik, den Lyrikpreis des open mike, den Gertrud-Kolmar-Förderpreis und den Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. 2018 war sie in der Jury des Internationalen Filmfestivals in Duhok in der Autonomen Region Kurdistan, Irak, und schrieb bis August 2020 für die taz gemeinsam mit Cemile Sahin die Kolumne „OrientExpress“ über Nahost-Politik. Seit 2021 schreibt sie für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Kolumne „Import Export“. Bei Hanser erschienen zuletzt ihr Debütroman „Die Sommer“ (2020), für den sie mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet wurde, und „die verbrechen“ (Gedichte, 2021)