Wonach seid ihr verrückt? Gibt es etwas, das euch so begeistert, dass ihr euch den ganzen Tag damit beschäftigen könntet? Wovon ihr am liebsten der ganzen Welt berichten würdet? Gewöhnlich oder ausgefallen? Wir möchten diesen Monat gerne eure liebsten Leidenschaften kennenlernen – verpackt sie uns in ein Gedicht!
Fußball, Computerspiele, Gitarre oder Tanzen – das sind Leidenschaften, die viele teilen. Ungewöhnlich geformte Kartoffelchips sammeln gehört wohl eher in die Kategorie „ausgefallenes Hobby“. Nicht für die US-Amerikanerin Myrtle Young, die bis zu ihrem Tod 2014 Chips sammelte, die im Aussehen an etwas oder jemanden erinnerten. Habt ihr vielleicht auch so ein Spezialinteresse oder kennt jemanden mit einer ungewöhnlichen Leidenschaft?
Auch das Gedicht, das wir euch diesen Monat vorstellen, stellt eine ganz besondere Liebe in den Mittelpunkt: die Liebe zu einer Farbe. „Angenommen, ich würde beginnen, indem ich sagte, ich hätte mich in eine Farbe verliebt.“ – so fängt der erste von insgesamt 240 durchnummerierten Absätzen an, von denen wir euch die ersten drei zeigen. Sie stammen aus dem Band „Bluets“ der Lyrikerin und Kritikerin Maggie Nelson, in dem sie ihre Leidenschaft für die Farbe Blau in allen Facetten beschreibt.
Foto: Jeff Siepman/Unsplash
Schreibt uns im Juni ein Gedicht über eure absolute Leidenschaft! Was ist das eine Thema, Hobby, Interesse, das euch nicht mehr loslässt? Was sammelt ihr, was macht ihr jeden Tag, ohne was könnt ihr nicht leben? Schreibt eine poetische Liebeserklärung an die eine Sache, die euch total begeistert! Beschreibt sie so, als würdet ihr sie jemandem erklären, der noch nie davon gehört hat, selbst wenn es etwas Bekanntes wie Schwimmen oder Malen ist. Wir freuen uns im Juni auf eure Einsendungen zum Thema „Jedes blaue Objekt eine Art brennender Dornbusch“!
Maggie Nelson
1. Angenommen, ich würde beginnen, indem ich sagte, ich hätte mich in eine Farbe verliebt. Angenommen, ich würde es sagen, als wäre es eine Beichte; angenommen, ich würde meine Serviette zerfetzen, während wir uns unterhielten. Es fing langsam an. Als Wertschätzung, als Wahlverwandtschaft. Dann, eines Tages, wurde es ernster. Dann (während ich in eine leere Teetasse schaue, deren Boden befleckt ist mit einer dünnen, braunen Ausscheidung, spiralförmig gerollt wie ein Seepferdchen) wurde es irgendwie persönlich.
2. Und so verliebte ich mich in eine Farbe – in diesem Fall in die Farbe Blau –, wie durch eine Verzauberung, eine Verzauberung, die ich verteidigte und gegen die ich mich wehrte – immer im Wechsel.
3. Gut, was ist schon dabei? Ein Wahn aus freien Stücken, könnte man sagen. Jedes blaue Objekt eine Art brennender Dornbusch, ein heimlicher Code, nur für eine einzige Agentin bestimmt, ein X auf einer Karte, die viel zu diffus ist, um sie jemals ganz zu entfalten, die jedoch das gesamte begreifbare Universum umfasst. Wie können all die Fetzen blauer Müllbeutel, die in Brombeersträuchern hängen, oder die strahlend blauen Planen, die über den Shantys und den Fischbuden der Welt flattern – wie können sie im Wesentlichen die Fingerabdrücke Gottes darstellen? Ich will versuchen, das zu erklären.
Maggie Nelson Geboren 1973, ist Dichterin, Kritikerin und Essayistin. Sie lehrt an der University of Southern California und lebt mit ihrer Familie in Los Angeles. Für ihr hoch gelobtes Buch “Die Argonauten”, 2017 in deutscher Übersetzung veröffentlicht, wurde sie mit dem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihr 2020 “Die roten Stellen. Autobiographie eines Prozesses”.