fenster auf kipp
Die Jury hat entschieden!
Die Gewinner*innen werden bald bekannt gegeben.
Was passiert, wenn Dinge plötzlich anders genutzt werden als eigentlich vorgesehen? Ein Buch wird zum Türstopper. Ein Fenster zum Spiegel. Ein Tennisschläger zum Nudelsieb. Was steckt eigentlich dahinter, wenn etwas plötzlich einen neuen Zweck bekommt? Ist das reine Improvisation? Ein Zeichen von Kreativität? Oder vielleicht sogar ein stiller Protest gegen das, was vorgegeben ist?
Was bedeutet es, etwas – oder sich selbst – zweckentfremdet zu gebrauchen? Gibt es Dinge in eurem Alltag, die ihr „falsch“ benutzt, weil sie sich so richtiger anfühlen? Und habt ihr euch selbst schon einmal in einem neuen Licht gesehen? Anders, als andere euch wahrnehmen? Vielleicht ist genau das Zweckentfremdung: die Fähigkeit, Regeln umzuschreiben und Bedeutungen neu zu erfinden.
Vom Zufall zur Kunst
In dem viralen TikTok-Video „She hit that pole“ (hier zu sehen) stößt sich ein Mädchen an einem Bettpfosten und schreit kurz auf. Ein Moment des Schrecks, der eigentlich banal ist, wird zum Ausgangspunkt einer Welle kreativer Reaktionen: Nutzer*innen greifen das Geräusch auf, mischen es mit Beats, Gesang, Humor und verwandeln Schmerz in Popkultur. Was ursprünglich Zufall war, wird zum Material. Zweckentfremdung in Reinform: Aus einem unbeabsichtigten Laut entsteht etwas Neues, etwas, das plötzlich vielen gehört.
Poetische Verwandlungen
Auch in der Lyrik lässt sich beobachten, wie Zweckentfremdung zum poetischen Prinzip werden kann. Im Gedicht „Highlife im Underground“ von Sarah Claire Wray wird der Wind aus dem U-Bahnschacht zum Haartrockner, der Alltag zum poetischen Experimentierfeld. Ein ganz gewöhnlicher Moment im Berliner Untergrund und doch steckt darin eine stille Utopie. Wrays Gedichte, versammelt im Band sieben utopische dinge, zeigen, wie leicht sich Bedeutungen verschieben, wenn man bereit ist, anders hinzuschauen. Sie laden dazu ein, das Selbstverständliche neu zu denken – und genau dazu rufen wir auch euch diesen Monat auf.
Eure Schreibaufgabe im November:
Zweckentfremdet die Sprache. Zweckentfremdet die Welt. Macht aus Zufall Bedeutung und aus eurem Blick auf die Dinge ein Gedicht. Vielleicht geht es darin um Gegenstände, die ihr zweckentfremdet. Oder um euch selbst, um Rollen, Erwartungen, Zuschreibungen. Vielleicht geht es um das Anderssein, das Umdeuten oder das Neuanfangen. Wir freuen uns auf eure Gedichte, die das Bekannte anders denken!
Highlife im Underground
Sarah Claire Wray
u7
viertel nach acht
fenster auf kipp
ich lass mir
die haare trocknen
vom u-bahn-schacht-wind
aus: Sarah Claire Wray, sieben utopische dinge, parasitenpresse – Köln 2021
Über Sarah Claire Wray
Sarah* Claire Wray ist Autor*in und Regisseur*in. Nach drei Jahren Assistenzzeit, u. a. am Schauspiel Frankfurt und Thalia Theater Hamburg, studierte Sarah Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Während des Studiums inszenierte Sarah u. a. an der Volksbühne Berlin und am Nationaltheater Mannheim. Außerdem schrieb, produzierte und inszenierte Sarah den Kurzfilm HDGDL, der im Jahr 2025 auf dem IFFF Köln & Dortmund gezeigt wurde. Im Jahr 2021 veröffentliche Sarah den Gedichtband sieben utopische dinge im Kölner Verlag parasitenpresse. Sarah war Teil des Writers Rooms von Lamin Leroy Gibbas Serie Schwarze Früchte. Im Jahr 2024 feierte die Serie Weltpremiere auf dem Tribeca Film Festival in New York. Sarahs Spielfilm Debüt Blaues Haus, ein psychologischer Thriller, wird 2025 von der MOIN gefördert.

Sarah Claire Wray, Foto: Mitch Stöhring