Unsere Gewinner*innen im Januar 2025

Wettbewerb im Januar 2025

in das Klackern der Nadeln hinein

Frederik Abts

2004

in das Klackern der Nadeln hinein
frage ich dich
waren deine auch aus Holz
hast du auch geträumt, von all den feinen Stoffen, die du tragen wirst
den Faden links-rechts tänzelnd in der Hand
oder doch nur von all der Wäsche, den nicht mehr so weißen Krankenbettlaken, die du um 6 wieder
vor dir hättest
oder denkst du noch oft an das Geld für die Musikschule, das du gerne für Mama gezahlt hättest
sag mir, beruhigt es dich oder lenkt es dich ab, von all den Stoffen, die du nie tragen wirst, weil du sie
nicht selbst weben kannst, selbst wenn du die Zeit hättest
jeder Tag kann auch nur einmal zu Tode geschuftet werden
wir setzen die Maschen aneinander, wie Perlen an einer Kette, darin steckt eine liebevolle Geduld
erzähl mir von all den Pullovern, die du für Mama gemacht hast, mit deinen mutigen Händen
jeder Tag kann aus Angora sein, wenn nur jemand genug dafür hergibt
sag mir, wärst du stolz darauf, wie ich meine Kleider stricke, jeden Tag die Maschen neu verteile,
wichtige Stellen markiere und dann und wann abkette
das hab ich so von Mama gelernt und sie hat es einmal von dir gelernt 
du wirst meine Hände nie stricken sehen, aber ich stelle mir vor, wir sitzen uns gegenüber, du erzählst
und ich lausche gebannt, unsere Nadeln aneinanderschlagend
ich verarbeite gern mehr als einen Faden
sag mir, haben deine Hände auch manchmal gezittert
ich habe deine Hände nie stricken gesehen, aber die Pullover, die Mama auch jetzt noch
trägt
jede Faser dein Wort, der Pullover meine Geschichte
ich häng an meinen Nadeln, so wie der Faden 
in das Klackern der Nadeln hinein lassen sich manche Dinge leichter sagen als in die
Stille

durch meine taucherbrille schaut es sich schöner als durch meine augen

Swantje Bitterling

2006

rotzig rosa Plastik, das durchsichtiges Plastik umrahmt, das Augen und Nase einschweißt
the worldʼs a little blurry
sie ist:
mein persönliches Bullauge für Tiefseetage;
mit aufgerissenen Plastikaugen beobachte ich, alles, was sonst verschwimmt
or maybe it’s my eyes
ich sehe:
meine sich von Jahr zu Jahr weiter entfernenden im Wasser wackelnden Zehen, Konturen, zwei Milchzähne am Beckenboden, alles so viel klarer, einen Haifischzahn am Meeresgrund, jeden Tag meines Lebens, den ich am Meer verbracht habe

wäre sie eisern, würde sie wohl vor sich hin rosten
halb Gebrauchsgegenstand, halb Andenken an einen vergangenen Ostseeurlaub
ist sie suchend nach so vielem;
in Angst vor dem Vergessenwerden hinterlässt sie
kleine Furchen über meiner Lippe und unter meinen Augen;
das Atmen, was sonst einfach geschieht, als Präzisionsakt
sie macht es mir nicht zu leicht
ein falscher Atemzug und schon beschlägt die Weltsicht;
überhaupt ist die Weltsicht ein wenig milchig
und bleicht an den Rändern gelb aus
aber:

ich behalte den durchblick,
wenn ich auf tauchgang gehe,
um korallen zu pflanzen und orcas zu zähmen,
blicke ich durch plastik

ich behalte den durchblick
er ist fleckig und gelblich,
riecht plastisch
und beschlägt manchmal

kNIESCHÜTZER

Jakob Buurman

2004

Eigentlich wollen wir NULL (0) erinnern
Es wäre uns TOTAL lieber: Wir wären so schon IMMER
Wie wir sind JETZT: Steif / Straff / Stark

Trotz Abgelegtheit liegst Du noch abgelegen
Geröll in Ecken: Abgeworfene Hautschuppen
Geheimer Stolz: Wir sind KEINE (0) Puppen mehr

Verpuppt VOLL ins Risiko rasen
Verletzungen MAXIMAL Plastikraspeln: Schorfersatzprodukte
Unsre Kniescheiben: Verborgen hinter brettharten Feigenblättern

Eigentlich haben wir uns stets ZU FRÜH nackt gemacht
Neidischer Blick: Braungebrannte Kniekehlen
NIE mehr Klettverschluss: Du hast TAUSEND (1.000) Arme, die mich erschließen wolln

ENDLICH bluten dürfen wir
Entfernen unsre Nabelschnur: JETZT können wir verschnüren
Du staubiges Panzerpaket: kNIESCHÜTZER

Mit wundem Milchgebiss blecken wir schon die Weisheitszähne
Die Welt uns zu Knien legen: Den geschundenen
Die Augenlider uns aufschneiden: Die SPERRANGELWEIT verschlossenen

Eigentlich waren wir NIE: Steif / Straff / Stark
Eigentlich sind wir: TOTAL verkrustet
Unsre Palastkuppeln sind abgestoßene Kokonsplitter

La Vague

Charlotte Obenaus

2005

die blaue Sofadecke wie Matisses Pinselstrich
in La Vague, 1952, ich verlerne zu schwimmen,
ein Winter unter Wolle und Wasser, und träume
von August und älteren Frauen und einem Sommerhaus,
in dem ich auf hundert Namen höre;
sogar die Mücken könnte ich ertragen, wenn das heißt,
dass es wieder einen Himmel gibt, sogar die Stare wenn Kirschen,
sogar das Ohne-Dich

Habe das Sandmännchen gegen Susanne Daubner getauscht

Sarah Perlov

2008

Ein Apfelgerät hat sich in mein Herz gefressen
zweimal täglich laden
JanuarFebruarMärzApril
die Tagesschau steht niemals still
Bin süchtig weil es kurz nach sieben ist
mein verklärter Blick
auf den viel zu grellen Bildschirm starrt
Bin geblendet, MACH DAS BITTE AUS 
nein, die sechs W-Fragen werden beantwortet 
Klicke auf ein kleines rosagelbes Viereck 
und weiß jetzt, was die 
Roten
Grünen
Gelben
Blauen 
von allem so halten
Insta-Kommentarspalte sagt, 24 war ein politischer Fiebertraum
aber ich träum halt so gerne
deswegen spritze ich mir die volle Dosis ins Blut
bin besessen von schlechten Nachrichten 
eine toxische Beziehung RED FLAG!!!
Januar will mich remigrieren 
im Juni wählen junge Menschen rechts
Im November zersplittert mein Glauben an die Menschheit
wie mein Panzerglas
Dreizehn Uhr, Schule aus, kann es kaum erwarten
den Code vor lauter Hektik
zweimal falsch einzutippen
Es ist dreiundzwanzig Uhr
letzter Blick auf den Bildschirm
habe das Sandmännchen gegen Susanne Daubner getauscht
Das kleine toxische Apfelgerät 
Flimmerte
24 war
Ein politischer Unfall
Und ich konnte nicht wegsehen

linie 8

Katharina Scheipner

2005

von permafrost umschlossen an neujahr von den galapagosinseln träumen. wie man immer nur im nachhinein merkt: das war die gute zeit. das leben ereilt einen. aber frieden damit finden, nur noch ab und zu an ihn zu denken, z.b. an roten ampeln, in der straßenbahn, wenn ich mir im spiegel selbst in die augen schaue, wenn ich betrunken bin oder traurig, beim haustüraufschließen oder wenn der nachbar nachts leise gitarre spielt. eigentlich ziemlich oft, aber wenn, dann in eckigen klammern, um die stellen abzuklemmen, an denen es wehtut. eigentlich auch keinen frieden damit finden. eigentlich die zeit zurückdrehen wollen, um es anders zu machen. sich eigentlich wünschen, dass es anders wäre. manchmal tragen andere leute seinen blick in den augen. als hätten sie ihn ihm geklaut. billige kopien. ich schreibe über ihn und schick ihm die lyrik, die im grunde ihm gehört, weil ich eine idiotin bin. er antwortet nicht. im frühjahr werde ich mich erinnern können an die kalten nächte, an das heimliche weinen im öpnv, die stille in der linie 8, aber nicht mehr an seine hände oder augen, nicht an meine bösen vorahnungen, an mein betteln. was hängen bleibt, sind die träume, in denen jemand meinen namen sagt. und wie schön nachts die funken sprühen, bei den gleisarbeiten der bauarbeiter. mutter zählt an ihren fingerknöcheln die monate ab, bis ich mit der 8 zum hbf fahre und von da nach hause. manchmal wie aus dem nichts heimweh.

 

Schreibe, um zu träumen.