Unsere Gewinner*innen im April 2024
Wettbewerb im April 2024
Antidebüt
Sou Eslek
2003
stumm verfasst dieser text an einer sonnigen bushaltestelle.
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bald wird ein neuer frühling gewesen sein.
ich werde in diesem frühling gewesen sein.
in den pflastersteinen gespeichert eine neue sonne. meine nächsten schritte.
vor euch liegt: meine vollständige verflüssigung.
zwei vollendete jahrzehnte aus meiner hand gefüttert.
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der regen reißt mich die straße hinunter ich schürfe meine knie auf es blutet ein kind heraus. wenn ich nur worte für seine sprache hätte
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ein kryptischer anfang.
ein mädchen das von marienkäfern schreibt
eine große stadt mit mehr horizont
ein meer das nicht aufhört
eine vergessene landschaft
ein dienstag der retten lehrt
hundert gebete wieder hundert gebete
stechend brennende nächte
eine lange stille
ungerinnbares blut
ein meer, das schließlich aufhört
ein neuer sommer
eine kleine stadt mit mehr horizont
zuhause nennen.
zwei augen bewohnen.
eine jugend beweinen.
gehaltene hände und körper
leben und leben und leben
-scratch the chemical burns on my brain. feel the stitches across my chest. they speak of my survival. listen closely.
steal the words from my throat, tell the earth that i love her.
i love her i love her i love her
es wird ein neuer frühling gewesen sein.
ich werde in diesem frühling gewesen sein.
in euren händen gespeichert
meine nächsten worte
Bevor ich denken kann, dass ich dich sehe
Viktoria Ganahl
2006
Beginnt
etwas zu rattern
Schraubt
Sich
Die
Wir
Bel
Säule hoch,
Verteilt sich
Im ganzen Körper.
Ich denke nichts
Und meine Haut weiß alles
Aggregatszustand: undefinierbar, mit steigender Entropie,
jede Ordnung löst sich auf,
aufgerissene Kisten, alle Bilder von dir, deine Augen, Hände, auf mir, Berührungen, überall, auf meinem Körper, alle gleichzeitig, Zeitberührungskörperkarte, es artet aus – da hinten läuft jemand, im Gang, Kantinenaugenbrauenstopp-
aufgelöst
Rotierend, verflüssigend, verdammtes Chaoskop, verdammtes Leidoskop, verdammt wie ein Moped auf Vollgas, das nicht fährt, fahrig, wirbelnd, sich verselbständigend, nur oberhalb der Augenbrauen:
Stille
Hey, sagst du.
Mein Körper absorbiert jedes Partikel von dir.
Mein Kopf schweigt in die
Leere Ich sage nichts
Und schaue
An deinem Gesicht vorbei
An deinem scheißschönen Gesicht
Was passiert
Ins Blaue hinein
der Geist
Tim Grau
2008
das Meer auf dem
die Erinnerungen treiben wie Container
die vom Schiff gefallen
sind. manche an Land
gespült. manche
am Meeresgrund
wo sie von Zeit zu Zeit
aufbrechen und mit Gummi-
Enten aus Hass und Schmerz
das Meer bedecken. dann weiß man
nicht woher sie kommen, diese Bojen,
die einst
Freude bringen sollten
Befall
Charlotte Obenaus
2005
das Vergessene sucht sich seine Opfer
wie ein Bienenschwarm sein nächstes Nest
(möglichst starre Hohlkörper in denen schon
mehrere Winter kein Wind mehr gespielt hat)
zuerst lässt sich nur ein einzelnes Surren
auf der Schläfe nieder doch woher kenne ich
dieses Lied?
dann verdoppelt verdreifacht sich der Flügelschlag
fängt an Löcher zu graben und werde ich so
zur Wabe?
nur weil etwas singt muss es nicht gut sein und bald
verätzt der Honig die Lunge und wie soll ich
noch schlafen?
und dann stirbt die Königin und das Volk
folgt ihrem Echo doch warum kann ich nicht
aufatmen?
die Erinnerung verlässt seine Opfer
wie ein Bienenschwarm sein totes Nest
(der Zustand des Erinnernden ist das Nicht-
Verfallen also das Befallen-Werden)
in memoriam – deskription eines ganzkörpereinsatzes
Angelina Schülke
2003
leicht leicht leicht
fingerflattern über der schläfe
schlaflied in den gliedern
es ruht tief in mir
schließ die augen wenn es dich packt
durch die rippen durch die arme ein körper in aufruhr
ein körper am leben auf der bühne
halbtransparente projektionen
schnittmuster einer neuen haut
und es wird leicht unter den fingerkuppen
ein brodeln
ich sage es liegt mir nicht auf der zunge
es entflieht meinen händen
und vielleicht müssen wir unsere eigenen kuhlen schaffen
in bauchräumen und armbeugen
wo wir unsere köpfe betten altersgerecht
manchmal musst du graben
bis es dich anspringt
und du erkennst
erinnern geschieht immer mit dem ganzen leib
stillzustehen
Fanny Marek Walger
2004
ich bin mein herz, wenn ich es schlagen spüre,
meine füße, die nicht laufen können,
mein bauch, der sich an deinen bauch erinnert
begrabt mich unter der birke,
die mir mama zur geburt pflanzte.
die körperin sehnt sich und weiß,
wie es sich anfühlt, wenn arme zu wurzeln werden,
stillzustehen.
in diesem frühling: schreib an dich selber, als wärest du alt.
erinnerst trotzdem diese körperin,
so wie du weißt, wie sich orthesen anfühlten
und das leichte gefühl im linken arm,
dem du nicht glaubst, dass es diesen baum
hochklettern kann; die körperin wächst dennoch
auf, von würmern beschützt,
in den zweigen ein gimpel:
ich will etwas in mir verewigen. ich will,
dass etwas immer bleibt.
„Der Dompfaff oder Gimpel (Pyrrhula pyrrhula) lebt
außerhalb der Brutzeit gesellig und verlässt den lichten
Wald nur, wenn Kälte und Not ihn dazu zwingen.“*
ich bin viele körper*innen:
ich bin die birke, die so lange lebt wie ich
ich bin eine gimpelmutter
ich bin die körperin, die ich habe
und der körper, den ich haben will
ich bin ein sturm
ich bin der frühling.
*aus „Das kleine Buch der Vögel und Nester“ (Heinz Graupner und Fritz Kredel)