Unsere Gewinner*innen im Februar 2023
Herzlichen Glückwunsch, Alexandra Barth, Ruta Dreyer, Lara Klatzka, Sascha Pütz, Anna Valdin und Clara Wendel! Ihr seid die sechs Monatsgewinner*innen der Altersgruppe 15 – 20 zum Monatsthema „das sieht doch so gut aus“! Welche Menschen sehen „gut“ aus? Muss man „gut“ aussehen? Wer gibt vor, was „gut“ aussieht? Das haben wir euch im Februar gefragt und euch aufgerufen, in euren Gedichten Körper in allen Größen, Formen und Farben zu feiern. Inspiration gab es unter anderem von dem Gedicht „HAST DU WIRKLICH BIS ZUM SCHLUSS NACH LINKS GESCROLLT? NA ALSO“ der Lyrikerin Patty Nash. In euren Gedichten habt ihr den Schlankheitswahn kritisch beleuchtet, „sechseinhalbkiloweniger meine abgöttin ist die luft“, habt Körper „ein-hun-dert-vier-zig-mal-pro-mi-nu-te“ tanzen lassen und habt Mädchen aufbegehren lassen, so dass sie eine Nacht nicht darüber nachdachten, „ob sie sich selbst liebten“. Lest im Folgenden die vollständigen Gewinner*innengedichte. Wir wünschen dabei gute Unterhaltung!
v o m – s c h m e l z e n
h e r z s c h l a g
(70 bpm)
vor der tür rau-chen sieb-zig
kör-per krat-zig ins schwar-ze
mit je-dem ein aus at-men
zwei schritt nä-her zum bla-uen
dann zum li-la ne-on-licht
du ziehst rauch ziehst den bauch ein
leckst dir ü-ber die lip-pen
be-gibst dich wie ein gras-halm
in das wa-bern hi-nein du
lässt dich schlu-cken und at-mest
die luft in dir weg den krampf
e l e k t r i s c h
(120 bpm)
am an-fang ist es noch ein rich-ti-ger kör-per
den du spürst wie ei-ne hül-le die dich fest-hält
und zu-sam-men du hebst den arm und merkst das auch
vom nack-ten rü-cken vor dir vom arsch da-ne-ben
schließt du zu-erst noch auf dei-nen wäh-rend der bass
dir das herz zer-fetzt aber auf gut als wür-dest
du es zum ers-ten mal spürn ein ro-ter la-tex-
aus-schnitt ein netz-o-ber-arm nichts als bass und druck
viel-leicht ist es blut das sich da durch dich presst als
wür-dest du schwim-men nicht ste-hen viel-leicht lässt du
das was-ser zu o-der du brichst es auf bis du
nicht weißt ob du je fer-tig mit dem füh-len wirst
nur dass es die es-senz von dei-nem we-sen wär
t e c h n o
(140 bpm)
den schmelz-punkt be-merkst du nicht doch plötz-lich ist al-les eins
durch die ge-schlos-sen-en li-der si-ckert der fla-schen-geist
kei-ne ah-nung wel-ches kör-per-teil sich nun hebt und senkt
a-ber kann ein rip-pen-bo-gen et-wa glück emp-fin-den
wo ist dei-ne hüf-te was ist noch-mal ei-ne hüf-te
du löst dich auf im tanz wirst rie-sig und klar wie der märz
wo trifft ein herz auf mus-kel wo auf angst und eu-pho-rie
du hast lan-ge nichts als licht ge-se-hen die brust vi-briert
ein-hun-dert-vier-zig-mal-pro-mi-nu-te du musst la-chen
kein la-tex kein schen-kel du lachst tief in den bauch hi-nein
in dieser nacht
in dieser nacht flogen die mädchen durch die stadt, ihre körper so sanft, das säuseln, das summen der lippen ohne schmerz. man hatte sie einst hexen genannt, dafür verbrannt, heute flogen sie trotzdem. und die nacht war warm, weil keine träume in den boden gefahren wurden, sondern leben in die weite. / in dieser nacht stiegen die mädchen in einen aldi, nahmen sich boxershorts, postkarten, wisperndes eis. sie schickten die karten an fremde, erzählten von schwere, leichtem, dem rauschen der köpfe, dem boden auf dem sie pausierten, arm in arm, kopf an kopf. / die mädchen holten andere mädchen ab, fragten nicht die eltern, doch ließen briefe zurück und die eltern würden stolz sein und verstehen. sie würden an die mädchen denken, wie groß sie und ihre köpfe wurden und sich raum suchten. / in dieser nacht strömten die mädchen in eine bank und es waren so viele mädchen, dass der mann hinter dem schalter ihnen alles aufsperrte. das geld war dünn, origami, esspapier, bedrucktes taschentuch, das war geld. / in dieser nacht war das schaufensterglas kein spiegelglas, keine trennscheibe, kein absperrgitter. die puppen dahinter starrten und lachten, begruben ihre schweren gedanken im boden, sie drehten ihre körper wie aufziehpuppen, aber ohne die rädchen, die schnüre und die starre. nur die bewegung gab es, was eine puppe war, war eigentlich nicht zu sagen. sie flogen neben den mädchen und man erinnerte sich daran. / in dieser nacht warfen die schatten der mädchen spuren an die wände, die beim aufgehen der sonne nicht erbleichen würden. in dieser nacht war der himmel sternenklar und die nacht war keine nacht. sie war ein tag. in dieser nacht, an diesem tag dachte niemand von den mädchen darüber nach, ob sie sich selbst liebten.
corpo real?
als kind habe ich menschen ohne körper
gemalt
mit fünfzehn habe ich gemerkt, dass mann
mir nicht mehr in die
augen schaut
ich will nicht
ich will nicht sehen, was ich darin sehe
trenn mich gefälligst nicht von
meinen silben, wenn du mich ansiehst
mit dreizehn habe ich menschen gemalt, die
waren so dünn wie der tod
heute sitzen wir in runden und sagen: das haben
wir überwunden. wie gut, dass wir das überwunden haben.
[leise: spiegel sind wie heroin]
mann macht ein foto, glieder verkrampfen
sich zuckig
wir lachen tragisch
manchmal presse ich die hände auf den
bauch und frage mich, wie lang man
wohl darin graben müsste,
um meine identität zu finden
wie viele schichten muss man abtragen?
ich beginne bei den fingern
mit rohen fingern male ich dann
einen alten mann
sein schiefer körper sieht aus
wie ein vogel
erfreut denke ich,
dass er mir egal ist
manchmal gehe ich ins museum ludwig und stelle mich zwei drei stunden vor barocke mahlzeitstillleben dann stell ich mir vor wie saftig die orangen wie knusprig das brot oder wie vollmundig der rotwein schmecken müssen dann versuche ich das in meinem speichel herauszuschmecken aber ich schmecke nur asche und die genugtuung über meinen eigenen körper zu herrschen
anderthalbkiloweniger ich cutte die carbs von meinem speiseplan und esse lieber eine handvoll hülsenfrüchte das ist gut für haut haar und darm zumindest sagt das gwyneth paltrow zweieinhalbkiloweniger die waage knattert und rattert krhhh sie korrigiert sich nach unten wenn ich mein gewicht verlagere dreikiloweniger meine arme schlackern die unterarmknochen grüßen mit jeder bewegung und drohen auszubüxen dreidreiviertelkiloweniger weniger isst = weniger ist = weniger platz = weniger beachtung schenkt mir missachtung ich will eure ignoranz und eure mitleidigen blicke im schwimmbad die füttern mich fünfkiloweniger und meine mairübenhaut spannt wie frischhaltefolie über unangetasteten edelstahl-schüsseln wenn wer mit seinem:ihrem finger dareinbohrt dann ist der widerstand so gering sodass ich plat- -ze wie ein ballon pufff meine fetzen fallen zu boden und liegen da wie aufgelöste blattgelantine sechseinhalbkiloweniger meine abgöttin ist die luft jede:r kennt sie sie ist so omnipräsent aber nur ich werde so sein wie sie so luftleicht und luftrein und luftleer man wird mich endlich einsaugen aufnehmen absorbieren
so werde ich dem anspruch verwertbar zu sein vielleicht endlich gerecht werden können
Was ich zähle
Ich habe mir gewünscht meine Knochen im Spiegel zählen zu können.
Deshalb esse ich immer nur Suppe.
Ich verpuppe…mich.
Irgendwann bin ich ein Schmetterling.
Doch auch wenn ich nach dem Essen die Tablette schlucke,
Sehe ich am nächsten Morgen noch wie eine Raupe aus.
Eine Raupe voller Scham in einem Schneckenhaus
Mit schwarzem Kohlepulver auf den Fingern.
Oft sitze ich dann da und zähle die Kalorien.
Es sind schwere (Zahlen-) Tage
Und manchmal stelle mir selbst die Frage
Wann die Metamorphose beginnt?
Sie beginnt nicht.
Also schreite ich über in das Maß der Maßlosigkeit,
Während meine Lippen, die am Kaffeetassenrand kleben,
Netze aus Spucke weben
Vor Hunger.
Doch bleibt nur diese Bitterkeit auf der Zunge,
Mit der ich mich selbst unterdrücke,
Mich zurechtrücke
Bis ich meinem Maßband entspreche.
Diesem Maßband,
Das meine Taille umfasst,
Und mich immer noch hasst,
Wie die Waage im Bad.
Denn die kann mich mit Zahlen beschimpfen,
Und immer wieder von unten zu mir hochglotzen,
Bis ich mich zwinge zu kotzen
Und meine Finger in den Mund schiebe.
Solange,
Bis der Zeitgeist sich von meiner Haut abschält
Und ein anderes Mädchen wählt,
Das ihre Knochen im Spiegel zählen will.
wEissT dU wIE iCh aUsSehE?
in echt
mit ketten
an den augenringen
kerosinflecken
im lächeln
hunger
in der falte
meiner einweglippe
mit dem ohr
in der tür
und meinem mund
zwischen deinen
fingernägeln
haaren
an meinen beinen
die wachsen
und wachsen
und sich
unter deine
pseudowärme strecken
fusseln
im auge
und noch viel mehr
mit fiktionsnase
und sprechender haut
totem gewebe
auf dem kopf
vermissen
im hals
bis man
nicht mehr
schlucken kann
und daran denkt
den notarzt
anzurufen
mit meinem duft
in einer flasche
und deinem
auch ein bisschen
am rand von meinem
sonntagsshirt
in dem ich
wochenlang warte
weil dein handyakku
leer ist
mein gesicht
in deinen händen
wenn das licht
so halb drauf scheint
lana del rey
im blick
in meiner stimme
klau ich mich weg
als wenn es
nicht genug wär
dass meine rippen
für dich brechen
in deine arme tropfen
verloren gehen
auch wenn ich dabei
sterben könnte