Unsere Gewinner*innen im Januar 2023

Wettbewerb im Januar 2023

„es gibt dinge, die müssen vorbereitet werden; für vorbereitung vorschriften
sich bitte setzen und dabei siezen“

Im Januar haben wir eure Gedichte zum Thema „bitte wie geht vorbereiten“ gesucht. Kann man sich den Vorgaben nach dauerhafter Optimierung entziehen? In welchen Bereichen strebt ihr nach Optimierung? Wie versucht ihr, den derzeit vermittelten Idealen entgegenzutreten? Das und mehr wollten wir von euch wissen und haben euch zur Inspiration für das eigene Schreiben den Dokumentarfilm „Leben – Gebrauchsanleitung“ und das Gedicht „bitte wie geht vorbereiten“ von Monika Rinck vorgestellt. Anastasia Averkova, Alexandra Barth, Nelya Boese, Marie Bruschek, Anna Cristina Hattler und Julian Weber konnten die Jury in diesem Monat überzeugen! Wir wünschen viel Freude beim Lesen ihrer Gedichte!

statt der vorbereitung auf eine klausur

Anastasia Averkova
2003

wer hält die vögel im käfig und das nichtschreiben
wer gibt die antwort; es gibt einen buchstaben,
o-tonisch aufgelöst und eingelegt
die bindehaut ist möglich ii
es gibt schrift, die ich brauche und gebrauche
et cetera
das hämoglobin gibt es, das geschwollene gibt es, die hemmschwelle auch; nur
zufällig, arbiträr und konventionell natürlich
dieser spatz ist zu früh in diesem gedicht
es gibt dinge, die müssen vorbereitet werden; für vorbereitung vorschriften
sich bitte setzen und dabei siezen; die rolle der augen verstehen
oder sehen zumindest und ihre meinung begründen
es gibt fleischfarbene lügen, frauen, den guten wein als katalysator
gibt es auch; weinen kann ich
rühr mich nicht an, ich bin kein salat
ich kann bereiten oder nachher beschreiben
es gibt otter, die sich verloben, überloben also; nattern, die sich ringeln
tänzerinnen und blumen im haar; monotones
lügen, die luft nur zum lachen; und ottern
eine alternative leichtigkeit gibt es nicht
ich laiche nie; ich lache ohne tüpfel und ohne i
probleme und der frieden müssen vorbereitet werden
lacht der wind, wie schreibe ich das auf
aufwachen und bewachen stilisieren
es gibt eine frau in ihrer rolle; eine schriftrolle
es gibt stürme, die lungen erobern
es gibt mich, die wieder lacht; dich, der herumlungert
wir straucheln perfektiv; verschwinden
und schwindeln ist nicht das gleiche
ich leg mich aus, ich leg mich ein; werde ich haltbar
halt mich doch
doch du hörst nicht zu
die kirche verkuppelt; denkmal wird aufgestellt
und es gibt thesen; ton lässt sich performen
ich stilisiere den spatz einfach mit
ich alphabetisiere mich; fürs nachher hinterlasse ich
gebrochene blumen, cocktailtomaten und regeln; zusammenzufügen
nur durch aufzählung

so etwas wie ein mensch

Alexandra Barth
2003

gestern hat jemand den glauben an besserung verloren,
und das ist keine verlustanzeige.
in dieser lücke fängt etwas besseres an.
 [ ]
bis gestern hast du die zeit damit verbracht,
dich auf das altsein vorzubereiten, den zerfall, den fall
dass das alles doch aufzuhalten ist, du bist
ein drahtseilkünstler gewesen, ohne es zu wissen,
einfach weil du nie gefallen bist.
nach all den eiweißshakes, den cardios und tagescremes,
elektrolyte-tüten, coachings, fastenkuren,
nach work-life-balance, jackfruit-schnitzeln, pulsuhren
bist du etwa immer noch kein besserer mensch?

dass du dich selbst erweitern willst,
das ist in erster linie menschlich,
nur der markt regelt das nicht für dich.

du fragtest mich: herr wondrak,
wie sieht der sinn des lebens aus?
ich sagte, meiner ist ein blaues flussbett,
es muss nicht sein, dass auch du
hier wohnst, doch natürlich darfst du.
ja cool danke, aber
davon kann ich mir auch nichts kaufen.
genau das ist es ja, was ich meinte.

jemand hatte lang geglaubt, diese leiter sei endlich.
na ja. das glaubt man eben irgendwann.
kannst du jetzt bitte wieder runterkommen?

wenn du willst, kannst du dich hier
auseinandernehmen lassen
und selbst wieder zusammensetzen,
zu so etwas wie einem menschen.
dir mit der allergrößten liebe
die haut gesund cremen
und im frühling eine woche im gras liegen.
das wäre echte kriegsführung, und zumindest ich
im flussbett wäre wirklich stolz.

was ich dir dennoch sagen würde:
wenn deine selbstoptimierung

 

nicht zu weltoptimierung führt,
dann lass es bitte.
wenn es am schönsten ist,
hört man nicht einfach auf.

also mach sachte:
leck dir deine wunden,
bau dir einen wattebausch und einen schneeanzug
für den nächsten winter, der sicher kommen wird.
stelle sicher, dass du atmen wieder beherrschst.
aber ganz ehrlich, spar dir den nächsten dreibeinigen hund.
spar dir die kraft
für die revolution.

 

Was Das

Nelya Boese
2005

sie trägt apple bottom jeans
ich trage schuhe mit klettverschluss 
ich trage lippenstift, der zu meiner haut passt
sie trägt einen anderen pulli 
ich trage schuldgefühle mit mir herum
ich trage taschentücher bei mir, falls jemand welche braucht
das ist bereit sein
was ist bereit sein
für das gefühl bereit sein, keinen kopf zu haben
keine haut zu tragen
die worte, die sich nicht über die lippen wagen
für das gefühl bereit sein, die beherrschung zu verlieren
eine enttäuschung von vielen
keine geduld zu haben und niemals zu triumphieren 
für das gefühl bereit sein, jede woche zu besuch zu sein
ich bin aber niemals mein
zuhause fange ich an zu weinen

Kassiopeia und Kallisto

Marie Bruschek
2003

neujahr, mondjahr, jahr des hasen;
ich suche im kalten glas des spiegels nach antworten statt fragen
in staubpartikeln, die wie sternenkonstellationen mysteriöse zufallsformen angenommen haben
von kassiopeia über kalliope zu kallisto 
bitte, wie geht vorbereiten?
auf miniröcke, gierige blicke, untergewicht? 
dysmorphobie schmeckt wie heroin chic, 
verweile irgendwo zwischen melancholie und ekstase, zwischen zuviel und nicht genug, intervallfasten und kalorien zählen –
„nothing tastes as good as skinny feels” – ein mantra aus dem mund von moss:
halleluja.
eisengeschmack verteilt sich in meinem mund, überzieht wie ein spinnennetz meine zunge und schleimhäute                                                       
bis ich einen teil herunterschlucke,
rote rubingroße glitzernde edelsteine, kristalle zwischen stimmbändern:                                                                                                             
i’m a million dollar baby
braune haare bilden grob umrissene ungeheuer auf dem billigen pvc-boden                                   
rorschachtest: ich erkenne nichts außer spliss und trockenen spitzen                                               
augen fahren prüfend an mir herab:                                                                                    
hängende brüste, rillen ziehen sich wie schlangen entlang, pickelige mondkrater
warte auf meine metamorphose – nicht zum schmetterling, sondern zu samsa 
perlige tränen verschleiern meine sicht, teilen die welt in farbtupfer
morning sun von hopper –
ich löse mich in einzelne pinselstriche auf, ein windzug trägt mich davon:
buntes herbstlaub im januar.

 

jetzt packe ich die Badesachen aus, denn die Sintflut ist da

Anna Cristina Hattler
2002

durch die Straßen taumeln 
Realität und Frost, es ist Berlin
was keine Rolle spielt

es spielt keine Rolle, dass es Berlin ist
weil alles was immer eine Rolle spielen will 
einfach mal keine bekommen soll verdammt einmal

wir haben in Ver- und Zer-zweifelung versucht
uns zu verlaufen nächtelang sind gescheitert 
weil an jeder verdammten Hausecke Erinnerung
steht und Angst

was dann passiert, ist, dass man tagsüber 
im Asphalt stecken bleibt mitten im atmen
oder auch unter der Bettdecke

und wochenlang wird man alles in sich
verbauchen als wäre man 
Jona in seinem eigenen Wal 

als wäre man
als wäre man seine eigene Wahl

es ist scheitern zittern schlafen und wir
strukturieren das jetzt um! Möblieren neu
wenn man also das Selbst aufbricht

wenn man Medikamente
Bücher Yoga neue Haarfarbe
Äpfel Salat und Vitamin D 3
Vitamin C Vitamin B 7
Waldboden Kraft Meditieren
die Angst mit den Füßen treten
darum jetzt also auch Joggen
dann Schuhe haben die nicht stecken bleiben können
im Asphalt also so coole  schwarze Plattformstiefel
mit Nieten und Selbstbewusstsein
in der Therapie mentale Software-Updates
und neue Möbel kaufen
Betten aus denen man einfacher
aufsteht zum Beispiel

 

 

Angst Alkohol Abgrund passiert trotzdem
auch Badtrip Therapie Badtrip
dann ist da auch noch allgemeine Gegenwartsschwere
naja was macht Gott, wenn der Mensch nicht reicht?
richtig: Regen, exzessiv also
durch den klatschenden Regen rennen
mit Meditation zur Regenrinne werden für
alles was nicht bleiben soll in einem

und atmen durchhalten
auch mit voller Konsequenz, von allem, damit meine ich
das was mit sich anfängt und solange auch nicht aufhört
das Problem ist nämlich auch: dass
nur noch mehr Leere sich im Herzen verfängt
wenn man sich aus der Konsequenz nimmt

Gott zuckt dazu nur mit der weißen Wimper
sagt: das musst du alles selber wissen
selber machen, selber sein

ich sage: Gott jetzt klingst du wie eine echte Mutter
so ich bin müde und radikal traurig jetzt okay
das ist coming-of-rage

jetzt ziehe ich mir die Schuhe verkehrt herum an
jetzt heule ich Blut, schreie dysphorisch
die Engel spucken aus den Wolken auf mich runter
und die Regenrinnen platzen also
jetzt packe ich die Badesachen aus, denn die Sintflut ist da
jetzt kratze ich der Realität die Augen aus und nicht sie mir
übe Steine schmeißen mit denen aus meinem Magen
die Sonne ghostet mich, ich habe sie mit Vitamin D 3 betrogen

jetzt buchstabiere ich Wut mit meinen Haarsträhnen
ich habe die Wut nicht erfunden wie das alles hier
ich habe nichts erfunden das war schon immer
ich nehme nur es wahr

und alles was wahrnimmt, kennt Leid
und alles was Leid hinnimmt
kennt sich nicht und Leid 
Leid kennt mich und der Rest
der kennt mich nicht und ich
möchte nie wieder etwas wahrnehmen

durch die Straßen taumeln 
Realität und Frost, es ist Berlin
was keine Rolle spielt
wie alles sonst
im Endeffekt

Vom Paradies

Julian Weber
2002

Manchmal wünschte
     ich die Erde wäre nicht aus
Stahlbeton und
Fensterglas

Manchmal träume
      ich die Meere wären nicht aus
flüssigem Chlorid und 
Fliesenwand

Ich stell mir
     vor der Himmel wäre nicht aus
LEDs und
schwerem Kerosin

Manchmal wünschte
     ich Mond und Sterne wären nicht aus
Kupferdraht und
GPS-Modul

Manchmal träume
ich die Weitsicht nicht
das Wachstum sei
Gewinn

Ich stell mir
vor es gäbe fairen Wettbewerb
statt rücksichtsloser
Dominanz

Manchmal wünschte
ich die Liebe nicht die
Leistung sei das
Maß

Manchmal träume
ich von einem Parlament aus
Schwertwalen, Obdachlosen,
Honigbienen und
Rohingya

Ich stell mir
vor es gäbe Handgranaten aus

Haribo und Kanonen voll
Konfetti

Manchmal wünschte
ich mir Grenzen aus Zuckerwatte
und selbstliebende
Selbstlostäter

Manchmal träume
ich die alte Eiche
mit der schiefen Schaukel
hält mich
immer
noch
im
Arm

Schreibe, um zu träumen.