Unsere Gewinner*innen im November 2021
Hier sind sie! Die Monatsgewinner*innen 15 – 20 im Monat November stehen fest! Wir gratulieren Anastasia Averkova,
Jamal Lkhaouni, Rosa Lobejäger, Ronja Lobner, Eva Pogrebniak und Patrick Seyfried!
Im November hieß das lyrix-Monatsthema „Spiegelgesichter“, ausgehend von einem Gedicht der Lyrikerin Sandra Burkhardt.
Ihr solltet dabei einen Blick in den Spiegel werfen: Was sagt euch euer Spiegelbild? Könnt ihr beim Blick in den Spiegel durch die Zeit reisen? Seht ihr euer jüngeres oder älteres Ich? Uns erreichten Texte, die sich dem Thema ganz unterschiedlich genähert haben. Ihr habt Bestandsaufnahmen gemacht und ganz nüchtern betrachtet, wie es ist, nackt vor dem Spiegel zu stehen: „du bist ein körper und nackt irgendwie gewaltig“ Ihr habt den Blick in den Spiegel genutzt, um mit Toten oder vergangenen Ichs zu sprechen: „würde er reden, ich fragte nach dem Duft in den Wolken und der Farbe der Zeit.“ Ihr habt Spiegelbilder mit Landkarten verglichen: „dein gesicht? vielleicht ein stückchen atlas, / vergilbt und ausgebleicht“ Die Gewinner*innengedichte geben euch einen kleinen, beeindruckenden Einblick in die Einreichungen, die uns zu dem Thema geschickt wurden. Viel Spaß beim Lesen und noch einmal herzlichen Glückwunsch den sechs Gewinner*innen!
ich reflektiere; in scherben
es ist kein knicklicht; das licht bricht
; lichtsekunden
kleber
jacques klebt mich ein
in die distanz zu mir selbst
das licht zerbricht zu leuchtkäfern
ich lege meine leibperspektive ab
wickle / winde mich um die blickachsen
der anderen
rollenerwartung vgl ideologiebild
ung
ich glaube; man hat das altgriechische drama
in die welt
entlehnt
protagonisten bewirken sprachtheoretisch
; sprachliches über-ich
mein körper ist eine architektonische konstruktion
in dessen
aufzug
meine / die seele feststeckt
; irgendwo in der bauch
nicht angekommen in der mund
höhle; unmündigkeit
in mir stecken buchstaben für erinnerungen fest
; dna
muss selbst worte zusammenfügen
schrauben fehlen nicht
; nur mir meine mutter
nur nachtsmutter; doch flickte sie mir träume
und buchstaben zu wörtern
ich machte sätze
ich kleidete mich in worte
; vor dem spiegel
monolog meiner spiegelneuronen
es verfließen sich die erinnerungen; fetzen des geistes
breche die tränen heraus
aus dem spiegel
imaginationen; scherben
ich setze keine punkte
; ich will nichts in
brand
setzen
sie löschte die wörter
bücher
; mit sand, wasser; klick / radiergummi
/ aus dem gedächtnis
; muttersprache
spiegel hält ihren blick
; man sagt
spiegel soll man verdecken
das sind behandelbare reflexionsstadien
nur mit mir selbst
auf augenhöhe
; symmetrische kommunikation
spiegel
verkehrte
; ursprungssprache
subjekt zerscherbt
hat einen sprung
umschließe die partialobjekte
meiner persona
; beschmiere die kälte mit blut
nur mutter könnte stillen
die wunden
; sie vernähen
ich blute; blute aus die a’s & b’s, die a’s & c’s & g’s & t’s
das ganze alphabet
; ich verstumme
ich glaube; mein körper ist ein atomarer
reflex
auf die anderen / die welt
jacques kehrt die scherben
drückt meine hände; bis ich mich spüre
mache sätze
als würde jacques mein blut bluten
; ich frage
mich
ob sich die buchstaben auf seiner haut
absetzen
; sich übersetzen
in sein blut
schweigen zerbricht zu erinnerungen
jacques
; wer hat dich gesätzt?
;
Spiegelluft
Schleife Schützengräben aus dem Hirn und tacker sie mir ins Gesicht.
Ziehe mir die Jahre ins Haar, lege die Gicht ins Knie;
ebbe die Flut, ruhe den Sturm.
Ich rümpfe die Nase.
Seit ich ein Kind war, habe ich im Spiegel butterdicke Luft gesät.
Zwei Gesichter, sich über, sich einander gegenüber, sehen einander sehen, sich Augen einander schweigen.
Ich rümpfe die Nase und runzel die Stirn.
Schmeiße Blicke wie Köder den Spiegel hindurch.
Da steht ein Mann im Bild, der niemals jung gestorben ist.
Der Weltgeist hat ihm einen Zigarettenstummel auf dem Kopf zerdrückt, die Zeit entgleist, den Mut gepflückt – würde er reden, ich fragte nach dem Duft in den Wolken und der Farbe der Zeit.
mit deinem sehpurpur habe ich meine fingernägel lackiert
da ist eine fremde im spiegel mit meinem gesicht sie hat mich im nacken gepackt im kunstgriff meine augen gestohlen kaltes menthol arktischer atem zwischen zellplasma und faserigen adern
milben schichten sich zwischen wimpern das fahle licht lockt die falter an
die falter auf der schläfe schlagen falten im bogen ihrer augenbraue in den furchen ihrer tage die konturen malen spuren kuhlen auf milchglas in der nassen blässe im safranfarbenen mond spiegelst du dich oder bin das ich
mit deinem sehpurpur habe ich meine nägel lackiert aus meinem kiefer wurden deine kiemen und dein weinen vielleicht habe ich dir die grimassen aus dem gesicht geschnitten deine schuppen geflochten dein preiselbeersorbet gelöffelt metastasen im magen schwer zu verdauen ich habe deinen korallroten lippenstift genommen während neuronale gewitter tobten aber deine lidfalte nicht
nie
vielleicht bist du mein körper hast mich umhüllt ummantelt warst mein sugarcoat an schweren tagen der jetzt schmelzend vor mir liegt vielleicht bist du der körper aber das dasein nicht das umspannt netze schattierte silhouetten wandelt fiebrig durch gräben in fremden sphären
das bild splittert die weißen tränen fallen durch fahles licht es lockt die falter an sie kriechen hervor zwischen faserigen adern der spiegel bricht unter dem gewicht von salzlake und flügelschlägen jetzt kann ich für immer im fieber leben in den scherben bade ich zwischen kühlem perlmutt blattgold und glas werde gebrannt zu keramik entlang der membranen
im fahlen licht sehe ich dich an und wenn du grinst siehst du immer noch wie bambi aus besser gesagt wie ein kind
körperbetrachtung (zustand: nackt)
du bist ein körper und nackt irgendwie gewaltig
leer
eine betrachtung im spiegel zwingt einen zusammenbruch
auf dass hautschuppen abfallen und du dich wieder mehr verlierst
legst dir berührungen in den brustkorb und schwere auf die zähne.
trägst ein gebiss im nacken dass dir schon beim sprechen bricht und
lippen spucken fremde bedürfnisse. identifizierst du dich als gegebenheit
oder als umstand? nackt spricht dein körper mit muttermalen als morsecode
so erzählen dehnungstreifen vom kaputt gehen oder wachsen so erzählst du nackt
ein leben an blauen flecken so trägst du eine zweite haut aus halber zweifel
über den schenkeln so stützt dein kopf nur ein nachdenken
du bist ein körper und nackt irgendwie gewaltig
kartographie
dein gesicht? vielleicht ein stückchen atlas,
vergilbt und ausgebleicht, der papierfraß
gleicht der auflösung von deinem ich.
gibt mir nur ein ungetreues abbild, ein spiegel-
gesicht wird schicht um schicht um schicht
aus zellstoff aufgebaut und wie eine land-
karte vor mir ausgerollt: die augen sind
moore, allenfalls seen, von lidern umrandet
wie von höhenlinien. ein faltiges plateau führt
zu einer gebirgskette, in deren hänge sich
furchen wie flussbette graben. die wangen
sind ein hügelland mit blassen grübchen
als wären es täler. die lippen – ein sprödes
faltengebirge mit dunkler kluft und schmäler
noch als jeder spalt. doch die landkarte deines
gesichts gibt mir keinen halt, keinen platz
in der welt. ich sehe nur einen landstrich,
das fragile massiv der felswände,
das vor mir zerfällt. du hast mir nie
eine legende gegeben. was von dir
bleibt, ist loses geflecht.
ich wurde deinen maßstäben nie gerecht.