Unsere Gewinner*innen im Februar 2020

Wettbewerb im Februar 2020

Die Jury hat entschieden! Im Februar waren „Wölfe auf der Suche nach Freunden“: Ungezähmtes, Natur, Einsamkeit, Freundschaft, Liebe, und viel Märchenhaftes – in persönlichen, aber auch gesellschaftskritischen Tönen habt ihr euch dem Monatsthema genähert und es für euch gedeutet.

VOID LOOP ();

Helen Duppé
2006

Scheinwerfer werfen böses Licht auf mich 
tanzende Lügen schwimmen darin; prallen von mir ab 
Was sind das für Freunde, 
wenn die Lügen nicht mehr gelogen sind, 
sondern wahr?

Getippte Worte; wutentbrannt 
eine Nachricht nach der Anderen 
kräuseln sich vom Bildschirm; alles Lügen 
schmecken nach Feuer; tun mir weh, 
als sie meine Lippen verbrennen 
bin doch so treu gewesen!

                      VOID LOOP (); 
                      sich alles dreht im Kopf 
                      die Computertasten fröhlich leuchten 
                      Wolfsaugen, bunt, wie Regenbögen 
                      nur die Wut glitzert rot 
                      Meine Tatzen wütend schnauben, 
                      als sich die Einsamkeit noch fester zieht

Die Sterne an der Decke 
fallen in meine Augen 
Dunkelheit verblinzelt sie 
fließen mit den Tränen 
auf das Kissen; versinken darin

Rot-karierte Karten stapeln sich zum Himmel 
alle mit einem Vorhängeschloss versiegelt; 
die rote Farbe fällt 
mit Erinnerungen betitelt durch meine Finger, 
während der Kartenhaufen schmilzt; 
das nachhallende Lachen der Momente verstummt

                     VOID LOOP (); 
                     sich alles dreht im Kopf 
                     der Computerbildschirm flackert; 
                     buschiger Schwanz eingezogen, schniefende Schnauze 
                     dicke Tränen schreien Versagen, 
                     während das Kissen meinen Frust auffängt

Der Regen meiner Tränen 
durchbricht die Seidenhaut des Kaffeeschaums 
fegt den Vorhang zur Seite; 
die Milch nun durchscheint 
dich dunkel verfärbt, wie mein Gefühlsspiel 
Trostkaffee, so nenn´ ich ihn!

Glasige Augen, schau ich nach vorne; fest umklammert 
Nicht sehende Formen, Szenarios: Was wäre, wenn … 
Konturen werden schärfer, fokussiert 
Die Vernunft wird zerbissen; scharfe Zähne 
Was wäre, wenn der Wolf die Überhand gewinnt?

Meinem Schatten wachsen spitze Ohren 
die Muskeln unter dem Fell spielen miteinander 
Nase gen Himmel, die Sterne mischen sich mit dem Klagelaut 
Ich bin auf der Suche nach Freunden 
VOID LOOP (); schon wieder

Ufer

Selin Eslek
2003

  über deine Handrücken ziehen sich Furchen. Sie klaffen so tief, dass ich mich hinenlegen kann. Die restliche Haut ziehe ich über meine Knie und betrachte ihre roten Flechten. Wenn man dem feinen Geäst deiner Kapillare nachsieht, führen sie zu silberblauen Venenbergen. Die ragen hoch über deine Knochen hinaus und pulsieren lauwarm. Wenn man sie besteigen möchte, muss man seine Füße fest in die Poren legen und sich kräftig abstoßen. Pore für Pore klettert man hinauf und am Ende kann man dich ganz überblicken. Die Beugen und die hohlen Rippen wie Harfensaiten wenn du atmest. Und der Widerhall aus deinem Bauch, sein Schwung über den Hals. Die Krater in den Knöcheln die mal Blut gespuckt haben, jetzt erloschen sind. Bunte Fleckenmuster grün und lila und gelbbesprengt unter deiner Haut hervorschillernd, eingezäunt von Malen und Haar. ich weiß, wenn man über deine Schlüsselbeine balanciert, dann fühlt sich das sanft an. Und wenn man sich auf deine Lider legt und zwischen den Wimpern hindurchspäht, dann sind da Träume die rauschen und die Ohren betäuben. in deinen Lungen wächst ein tiefblauer Wald dicht verästet und flüstert bei jedem Atemzug.

    In deiner Wange habe ich eine Mulde gefunden. In ihr sammelt sich Licht und 
    fließt über dein haariges Herz.

Im maul des wolfes berechnet man keine Integrale mehr

Ronja Lobner
2002

wenn es läutet, wünschten wir, wir hätten keine ohren 
weil sie anfangen zu bluten, weil ihr schall eindringt 
bis wir schall werden. 
aber eigentlich sind wir kinder, kinder im maul eines wolfes. 
er hat borsten, an denen man sich aufkratzt. 
zähne, an denen man sich blendet. 
er ist riesig, größer als wir. 
wenn er jault, bluten unsere ohren, 
weil ihr schall eindringt, 
bis wir schall werden. 
aber eigentlich sind wir kinder. 
er spricht in mathe, alles was er sagt ist unberechenbar. 
das lehrt uns und leert uns. 
er drückt wörter auf die haut. das übt druck aus, damit wir sie 
einsaugen können, 
doch sie ätzen wie säure 
weil eigentlich sind wir dünnhäutig, 
weil eigentlich sind wir kinder.

wir fragen: ei, was hast du für große augen? 
damit ich euch besser durchschauen kann. 
wir fragen: ei, was hast du für große hände? 
damit ich euch besser begreifen kann. 
wir fragen: ei, was hast du für ein entsetzlich großes maul? 
damit ich euch besser fressen kann.

das sind kinder und sie erzählen vom wolf, jetzt hast du angst. 
du nimmst ihre kleinen augen, damit sie nicht sehen müssen. 
du nimmst ihre kleinen hände, damit sie nicht begreifen müssen. 
du nimmst ihre kleinen münder, damit sie nicht sprechen müssen.

du stehst ein vorne, bist ein wolf. 
du jaulst in mathe, 
doch das ist unberechenbar, niemand hört dir zu. 
sie haben angst.

einmal, 
bleibt ein stuhl leer. 
sie sagen: der wolf hat ihn gefressen. 
Ihr seid kinder, sagst du. ein stuhl bleibt leer. 
und du gibst dir die schuld dafür.

Im Wald: Das graue Tier mit dem roten Hut und ich

Kilian Ruff
2006

Ich liege im Wald 
umhüllt von Wald 
ja, der Wald schmiegt sich an mich 
so rau und so kalt, voll wilder Schönheit 
kein Kitsch, kein Märchen 
nur eine Hand, eine mir entgegengestreckte Hand 
keine Hand, eine Pfote 
und doch eine Hand 
wie man sie entgegengestreckt bekommt, vom fairen Gewinner 
entgegengestreckt, nach kindlichem Tollen im nassen Gras 
entgegengestreckt, aber auch vom zwielichtigen Autohändler, in Gewissheit, dass man die Fußmatten vergessen hat 
entgegengestreckt, vom Freund, vom Helfer 
nur eine graue Silhouette, im fahlen Waldeslicht, mir streckt sie entgegen 
sie wird stärker, ich erblicke ein Gesicht 
mit modischem roten Hut, 
nicht von der Stange, vom Modist ganz gewiss 
es lächelt nicht, nur seine Hand gibt er mir 
Ist er mein Freund? 
Er ist mein Helfer 
Mein Begleiter 
Meine rettende Hand 
Muss er mein Freund sein? 
Kann er mein Freund sein? 
Ist das bedeutend? 
Was ist Freundschaft? 
Was ist Freundschaft schon, wenn wir scheuen sie zu definieren 
und doch genau wissen was sie bedeutet? 
Doch für mich 
in diesem Moment 
das graue Tier mit dem roten Hut 
war ein Freund

…001s101t111u010m000m100…

Angelina Schülke
2003

zunge klebt am gaumen 
meine stimme hängt irgendwo 
zwischen sprachzentrum 
und luftröhre 
unbrauchbar

fingerkuppendialoge 
sätze aufgelöst 
in binäre gedanken

und das vibrieren 
in der hand 
mein neuer puls 
der mich wach hält – 
in der welt hält

algo rhythmisch 
folgen die nachrichten aufeinander 
kreisen um die eigenen themen 
ohne rücksicht auf den anderen 
ohne ergebnis 

handykamera stanzt momente 
aus der wirklichkeit 
filter um filter 
vergesse ich meinen körper 
verstecke mich hinter 
kommentaren und profilbildern 
wie der wolf im märchen 
der die kreide frisst 
um dazuzugehören

erschütterungen im naturzustand von ein bisschen mehr als freunde

Sarah Stemper
2001

mäuse, die die heizung hochklettern 
und eine nervosität, die den nagel an meinem kleinen zeh 
blutig nagt. 
ein p-p-p-p-poltern durchströmt mein herz 
und ein pochen die wohnung. 
nährung unserer tiefsten ängste 
durch die beobachterrolle im spiegel gibt es ja doch

entkommen in einer algorithmisierten welt unmöglich 
du ver-stellst mich 
aber ich bin kein lebloses möbelstück 
höchstens ein radio, das störsignale empfängt 
ab und an zumindest 
die heizung braucht, damit sich 
der akku so schnell entlädt nicht

urteilen ohne wissen 
mache es immer wieder 
verletze menschen, die ich kaum 
kenne, es p-p-p-p-poltert in meinem herz 
und kopfrebellionswölfe unterliegen 
einer näherung an bestien meines ichs 
zittern du reißt das winterfenster auf dennoch

du bist nur ein tourist auf meinem körper 
mein körper nicht mehr als ein 
schwellengebiet 
zwischen erwachsenwerden und freudentwachsensterben. 
ziehst meine kleidung 
und meine träume im blümchengewand aus 
berichte mir über das ende dann

ein rotkäppchenmärchen, 
nur mit menschen gespielt 
logische chronolgien verspielt 
ordnung durch computermäuse und dimensionalitätsunfall verblasst 
statt steine entbrannte glückssterne im bauch 
profilbilder an erwartungen angepasst 
verhalte ich mich wie ermüdeter schnee stattdessen 
wer ist wolf und wer wird gefressen?

Aus allen Einsendungen wurden die Gedichte von Helen Duppé, Selin Eslek, Ronja Lobner, Kilian Ruff, Angelina Schülke und Sarah Stemper als Gewinnertexte gewählt – wir gratulieren sehr herzlich!

Schreibe, um zu träumen.