Unsere Gewinner*innen im Januar 2020
„flee, you fools“ – das war das Monatsthema zum Jahresbeginn, inspiriert von dem Gedicht „getunnelt“ der Lyrikerin Alisha Stöcklin und dem Objekt „Skin“ des Bildhauers Camille Blatrix. In euren zahlreichen Einsendungen dazu ist die Auseinandersetzung mit Körperlichkeit ein bestimmendes Motiv: Ihr schreibt über das Verhältnis von außen und innen, von Körper und Ich, von Berührung und Versehrtheit, von Nähe und vom Raum zwischen Körpern, von Konturen, Formen und Leere und von so vielem mehr.
INPUT
Kreiselnd rutscht der Satz,
durch die Wucht , die ihn von der Zunge stieß, beschwingt
die feinen Windungen hinab.
Bis er, für sein Gewicht verräterisch zu sacht, in seinem Ziel versinkt.
Die sonst so matten Härchen stehen nun und schwanken,
irritiert wie Tannen, wenn der Wind sich dreht,
hilflos in der Druckwelle eindringender Gedanken.
Die Wörter haben Schürfwunden ins Trommelfell gewebt.
Aalglattes Innenohrwesen von Bremsspuren zerfurcht.
Nicht wieder zu erkennen sind die warmweichen Runden.
In geschwungender Ordnung brach Chaos aus und durch.
Gewichen sind Bogengänge canyongroßen Wunden.
Gesplittertes Gewebe verläuft restlos in seltsamer Substanz.
Die Vibration sog neue Körper aus den Wänden,
versperren nun die altbekannten Wege der Instanz,
wuchern und wachsen und verschließen jede Blende.
Die Membranen schwingen nun auf unbekannte Weise,
die Wörter sprachen und der alte Takt ward stumm.
Polarisierend trafen sie die stillgelegten Gleise,
zogen ihre Gräben selbst quer durch das Retikulum.
Weil Populismus nistet,
sich die runde, eingespielte Welt zu eigen macht,
das Fundament mit feinen, tödlich-spitzen Sätzen überlistet,
lass bedenklich glatte Zungen nicht unbewacht.
wissen wollen wer man ist und kläglich daran scheitern
dieser körper ist kriegsgebiet; der in mitten ertrinkt.
der
stirbt in nervenzellen, beißt in den sauren augapfel usw.
blaue flecken bilden sich dann wenn man mit pulsschlägen
aufeinander eindrescht,
manchmal verstecken es die kleinen
körper hinter schamhaaren.
jetzt: wo er sein schlüsselbein verloren hat, lässt sich auch die blutzelle nicht öffnen.
Was auch immer ein körper ist,
das ist es nicht.
einmal hat er blei geschluckt
um sich selbst gewicht zu geben.
wollen wir immer noch augenlider singen?
obwohl sich in der netzhaut längst verfangen hat
die faser eines nie geführten gesprächs.
dieser körper ist ab heute autonome zone.
3cm größer ist er seit gestern
also eindeutig mehr mensch, i guess
auf den handinnenflächen hängen noch reste
der revolution was auch immer ein mensch ist,
das ist es nicht.
undurchdringlich
wie eine trennlinie liegt unkonventionell zwischen muttermal und vaterland
rojava selbst
lichtbögen rotieren, untergründe werden sichtbar.
all die ketten könnten atavistisch werden
aber: fahndungsbefehl, nervverzielung usw.
also ist es wahr.
wir brauchen mindestens
achtzehn jahre, um über fremdkörper zu siegen
und 84 reichen nicht um herauszufinden wer wir sind
wärst du so lieb & würdest sein gesicht abziehen
weil er ohnehin zerfällt
hautschuppe, haarsträhne. er verliert sich manchmal im gedankenfluss und wäscht sich ausversehen scham mit ab und hornhaut und sich vllt. auch
behauptet aber er wäre immer noch der gleiche (tz tz tz)
Gestern: war er er
Heute: ist er er
Morgen: Wird er er sein
das verstehe ich nicht.
was auch immer er ist
Ich bin es nicht.
kanülen in deinen träumen oder preach, pretenders
vom regen durchtriefter handschuh
am boden
halt ihn hoch
in meinen ausgebrannten mund
tropfend stoff wie öl
daher:kroch
schnee aus meinem rachen
geschmolzen bei flackerndem krankenhausflurlicht
kopf:schmerzen
gerade vorstellungen von diskokugeln
warum
maniküre mit abgeknabberten fingernägeln
die mienen der menschen
zu eskalationrotationsgesichtern gespannt
von skalpellen
halt ich nicht viel
topografisch gesehen ist mein körper
schischicksalseinsymmetriert bis verwölbt
weg:verschleiernd ein geruch
unter meiner haut
nach dem fieber
nach deinem pur geehrlichtem fieber
von krankenakte verfleischtlichte tierhaut
hält dis:sedimente dreier
plastik-plastik—plastik—Blumen
inne(n)
bambi im rollstuhl mozart mit herzschrittmacher
eingetaktet der versuch (?)
entkartete gedankenstriche wegzuradieren
die winkel eines landstriches zu bestimmen
gestaltet sich genauso schwierig
wie im weißen bunt zu sehen
ein diagnosebogen als hamsterspäre dein leben
droht verzäunt dein krankenbett
zusammenzubrechen
sei nur ein zeichen a:realter
sozialbedürfnisse
ebenen ver:ebben mit deiner selbst
bei jeder op mehr
bei jedem tag mehr antibiotika als vagabunden regionaler verletzungen
ich habe dir vetraut
aber gesundheit ist ein a-terrain
preach, pretenders
weißt du, dass, wenn ich creme in meinem gesicht verteile,
ich von medikamenten so benommen bin,
dass sie mich zerteilen und die creme mit dem fliegenschiss
den spiegel dann dekoriert?
Von Spänen
Du wurdest in einer Nussschale geboren, weißt du noch? Hohe Wölbungen von Schluchten verschluckt noch warm und überzogen von Weichheit und Gold, erinnerst du dich an die Kerben, in die deine Kuppen passten, an den Widerstand darin? Da waren Schichten und Wellen, glatt vom Rutschen darauf und immer ein wenig dämmrig, ein wenig wie. Wenn man die Füße über die Ränder gestreckt ins Außen sehen ließ, fing nach den roten Abdrücken in den Kniekehlen die Freiheit an. Wenn man in einer Nussschale wohnt, kommt der Himmel einem manchmal lächerlich vor.
Kennst du noch Grube und Kontur und die Beschaffenheit der Kurve am Kopfende, Fasersplittrig und schillernd wenn Licht aufkam und es hat ja immer irgendwie geleuchtet. Nicht grell, sondern sanftmütig, ein- und ausatmend, alle Knochen durchdringend behäbiges schweres Licht, verstehst du? Wir wussten auch nie, wo es herkam, es war einfach da um zu leuchten. Wir haben damals viel gelegen, in diesem Licht, weißt du noch? Wir haben einfach in unserer Nussschale gelegen und durch das Licht geschaut. Und manchmal waren wir rutschen.
brief an die eltern
weil vielleicht erklärungsbedarf herrscht:
ich zog mir die lungenflügel aus dem körper und legte sie mir auf den rücken um endlich fortzufliegen. sie sind schon schwarz gepunktet von der seuche der stadt CO und nur 2 mal an der zigarette gezogen (ich schwöre es mama ich schwöre) um ihre asche dann in der becherurne zu beerdigen.
falls ihr ein auge auf meine lyrik ausgeworfen habt dann geht es mir gut in der großen asphaltstadt und ihr könnt eure netzhäute gerne einholen kein köder kann mich in den bus nach hause setzen.
mein atem flattert hier über die häuserfassaden die alle gleich sind und doch ihre unterschiede beweisen wollen wie meine geschwister. es gibt hunderttausendundeine mehr straßen als in der heimat und auch wenn vater mahnte im licht zu bleiben so jagt doch die nacht durch diese gassen und in jede zelle meines körpers. nein mutter ich rede bestimmt nicht mit fremden ich lade sie wortlos in meine wohnung ein bis sie freunde sind. ja ich weiß dass es nur liebe ist bitte versteht ich muss noch raum bauen zwischen das tote land und sein lebendiges kind.
wohin auch immer diese nikotinbenetzten straßen führen.
Wirren deiner Strähnen
In den Wirren deiner Strähnen, finden meine Finger Halt, ertrinken in den glänzenden Wellen, teilen die Glut die darin weilt. Und meine Hände tanzen leise weiter ungewohnte Kreise um die Schläfe deiner Haut.
Um der Spannung zu entweichen, sacht dir hinters Ohr zu streichen und wie das Wirrenmeer geteilt, in deinem Nacken dann verweilt, sucht sich jeder Finger eine Strähne gleicher Teile und beginnt sie zu verknüpfen, dass die Wirren artig liegen, dass die Ströme sich verbiegen und die Flüsse die sie bilden fließen dann zu den Gefilden meiner Handgelenke hin.
In den Wirren deiner Strähnen können sie sich ganz verlieren, können ihre Last vergessen, weil die Locken schwerer wiegen und deine Worte als wir schwiegen blieben wie Wind und verhindern mein Flechten, beginnen die Ordnung anzufechten, bis in den Wellen untergeht, was immernoch ans Halten strebt. Nur die Leere meiner Hände lebt.
In die Wirren deiner Strähnen, flechte ich mein Lächeln ein, ziehe es mit meinem Herzen zusammen in den Wirbel rein, der links auf deiner Kopfhaut thront, macht an dir alles so erhaben.
Wenn du diesem Ziehen folgst, damit ich deine Wirren binde, grinst du und ich könnte fühlen, wie es ist erfüllt zu sein.
Doch die Wirren deiner Strähnen fehlen mir jetzt viel zu sehr, ihr Gewicht machte viel leichter, was die Leere macht so schwer.
Dass die Leere in den Händen die Dunkelheit im Herzen nährt, hätt ich nie gewagt zu sprechen, solange nur dein Lächeln währt.
Vielen Dank für all eure Beiträge und viel Spaß beim Erkunden der Gewinnertexte von Selin Eslek, Alva Kozempel,
Ronja Lobner, Nina-Sophie Raach, Lena Riemer und Sarah Stemper!