Unsere Gewinner*innen im Mai 2019
Lampenschirme und Flügelschlag, schwirren und getrieben werden – eure Einsendungen spielten auf vielfältige Weise mit dem Motiv, das eine Zeile von Alke Stachler für den Monat Mai bereitstellte: „wie ein falter das licht“! Die Perspektiven und Szenerien wechseln: Mal findet sich die Erzählerin selbst in der Rolle des Falters wieder „mit den elektronen in die enge getrieben“, mal gibt es außer Falter und Licht weitere spannungsgeladene Situationen wie „der einzige rabe ohne beinchen“ auf dem Blitzableiter, mal wendet sich jemand „dem licht der taschenleuchten ab“, mal verhungert „der Falter, der zu lange am Licht weilt“.
Ein bisschen Begeisterung
Lauschst du auch gut
den Anekdoten der Toten?
Vielleicht hörst du nur nicht richtig hin,
wenn du dich fragst, ob ich auch nur einen einzigen Sinn
meiner sieben beisammen habe.
Vielleicht fehlt dir auch nur der entscheidende Hinweis:
Achtung, Achtung, dies ist ein Gedicht.
Und obwohl die Verfassung nicht schlechter sein könnte, schreibe ich es jetzt, wie ein Falter das Licht-Die Jury verzieht das Gesicht. Es steht vor Gericht.
Wie ein Apfel auf der Reibe
zerfallen die Gedanken in wortgeformte Teile,
während ich es schreibe.
Fixierung in Wort und in Schrift
Lässt alles Imaginieren sich selbst und mich viel mehr als verlieren
Was mich betrifft:
Gradlinigkeit war noch nie meine Stärke
ohne Glucoseketten sind auch meine Werke
Verworren, verwirkt
was sich drin verbirgt, ist eine Hypothese,
nicht mehr oder weniger
Und obwohl ich es einfach lassen könnte, kann ich es nicht
einfach lassen, ein Ende in Sicht
ist besser, als zurück zum Anfang zu springen
Ein bisschen Begeisterung ist doch wirklich nicht zu viel von mir verlangt
Falter hin oder her
Heute morgen habe ich noch einen zerschlagen
macht irgendwie Spaß, die zu jagen
mit flackernden Fackeln
Bis jetzt habe ich mich noch nicht selbst übertroffen
tosender Beifall
und wenn du dabei stirbst
aus dem schalter in die schnur und wir
positionieren uns im kabel. stehen
unter strom während wir die laufbahnen bemessen und wie viel
strom unser körper aushält. elektrizitiert betrachten wir die
energie die wir haben während wir mit den elektronen in
die enge getrieben werden bis zur nächsten lampe sind es
zehn meilen bis wir nichts mehr aushalten ein paar volt das
wollten wir schon. der strom an unseren schläfen pocht dein
blick schweift zum lichtschalter es vibriert unter den füßen
wo sind die füße. und wenn du dabei stirbst
frage ich dich neben mir und du
21:04
um den laternenkopf schwirren die motten
schlagen rückwärts ihre saltos im sturzflug
mit stummem flügelschlag, es sieht aus
als würden sie feuer fangen
abel wäre gern an ihrer stelle
er zählt jeden abend die motten
doch heute kommt er nicht mehr mit
abel hat die zahl nach fünf vergessen
und die motten fliegen heute schnell
stoßen gegen die laternenscheibe
sodass abel sich fragt, warum ihre flügel
noch nicht gebrochen sind
abel hat marmelade am oberlippensaum
gleich neben den bartstoppelsprossen
die sprießend an seiner kinnfalte wuchern
es kratzt wenn er darüber züngelt
er würde die stoppeln gerne an den wurzeln greifen
und aus der haut ziehen wie das unkraut
hinter der gartenmauer
jäten konnte abel gut, selbst in der prallen sonne
davon hat er immer noch den braunen nacken
und wenn die sonne abends weg war schwirrten
die motten um das teelicht auf der punkttischdecke so
wie die kinder um ihn
die kinder waren nett
vielleicht waren es
seine
?
abels karohemd ist ungebügelt
er hat es unter der bettdecke gefunden die nicht
seine ist
abel hat es angezogen, sonst findet er nichts
es ist dunkel, vielleicht sind da mehr
motten
?
abel schmeckt die marmelade am mundwinkel
zeit fürs frühstück, findet er
Butterfly Effect
warmer flügelschlag schwindelt
über die funkanlage
hageln die worte
hinterlassen einen chaotischen niederschlag
trüb färbt sich die
aura der ersten klasse
der kaffee wird serviert
braun und kalt
abzeichen über den
aufgemalten narben
stolzt der trotz
sakramente einer feuertaufe
weiter hinten mahnt eine fluchttür
verschlossen dahinter ein gewehrlauf
die passagiere liegen
bedeckt mit postkarte in der brusttasche
schlaflos auf dem gleisbett
ein madiger blick gen boden
die augen verblitzt
im festen glauben
an das feste zu glauben
der wagon rattert
schatten huschen
über die vergilbten lampenschirme
Außerplanmäßiger halt
der atem stockt
kein himmel
aber tausend sterne
bedrücktes geflüster
die flamme erlischt.
rascheln.
entriegeln.
abkoppeln.
stürmen!
gierig entreißen
einfaltige hände
alles was das vakuum
zwischen dogma und geltungsmacht füllt
selbst die schweißperlen
wandern eifrig in die beute
furchtlos stolpern sie
über würde
die konsequenz längst kein konjunktiv mehr
sondern wahre realität
nur glaubt es keiner
denn ab einer gewissen geschwindigkeit
nimmt das bewusstsein ab
eingetauscht gegen das konstrukt
das wir kollektiv courage zu nennen wagten
ein zweifeln
hastet über das konterfei
eines wachen
in einem der leeren betten
ist eine notiz gefunden worden
eilig auf die schrift einer
der zahlreichen postkarten
gekritzelt
durch das dunkle schwebt eine kreatur
„wer in der nacht geboren,
hat mit der schattenseite zu leben.
bestimmt um im dunkeln zu bleiben
oder sich gegen die fahrtrichtung zu stellen.“
er blickt auf
ein nachtfalter pocht immer wieder
gegen die verstaubte scheibe
appelliert und warnt
wendet sich dem licht der taschenleuchten ab
um der selektion zu entfliehen
ein wenig kosmos zu kreieren
nur ist er leider kein schmetterling
und strahlt auf der falschen seite
dieser toten strecke.
Zarathustras Nachruf
er konnte es nicht fassen
das gläserne Sternenlicht, das durch den Himmel reflektierte
und ihn zog, wie alle, wie Zugvögel in den Süden, doch ihn nicht
zu einem Ort, zu einem Gefühl, nur Wünsche
nach Wasser, das er nicht kannte, nach Blau, das er nicht sah
nach Donner, den er nicht fühlte, und nach Magie
die ihn treibt, durch Felder, die er mit Blut sähte,
durch Städte, die an ihm nagten und ihn jagten
nur für den Traum, den Geist, es
es transzendiert, es trumpft selbst die höchste Karte,
den Thron des Geistes und die Spitze der Evolution
Seine Synapsen glühen in Farben aus den Tiefen des Alls
Grün und Blau und Hell oder doch eigentlich Schall?
es rieselt durch sein Gehirn wie Sand durch die Finger
kein Übermensch, nicht einmal ein Kamel
keine schlauen Wörter, nicht einmal ein Buchstabe
kehrt er zurück zu dem Gott, den er tötete
im Gedanken, den Menschen zu befreien
und an das Licht zu führen, aus der Dunkelheit
doch der Falter, der zu Lange am Licht weilt,
verhungert
Das Opfer der Narzisstin
halte Sicherheitsabstand
trage schließlich nur ’n
serviettenkleid
aus’m biomüll gekramt
sie könnten mich leicht
zerschneiden, deine
sektglasscherben
aus’m tedi geklaut
bohr‘ mein klebriges
15-jahre-fleisch
in unsr’e rauchvergilbte
küchenwand
[six feet underground]
während du mich…
seh, hör, riech‘ nur
die zuckernoten
bei dir
synästesie
müde augen starren
agitativ
vom Küchenfenster
zurück
aufgeschürfte knie
brauch‘ halt dich,
um ganz zu sein
wie ein narzisst
schade ich dir und mir
mama, du bist nicht du selbst
zerleierte klamotten, verfettete haare
trockene heizungsluft
dein leergeschossenes
paralysegesicht
mama, es bist nicht du, die mich…
(-)
mama…
lauf‘ schlittschuh auf’m
einbruchsteich für dich
wie lange halte ich
sie noch aus, deine
SCHIZOPHRENIE,
meine „mama“ (?)
[den kehlkopf nach all den
stummschreien fast hochgewürgt]
brauch‘ das gar nicht
fragen
komm‘ doch eh zurück zu dir
….und wenn ich auf’m
Blitzableiter
der einzige rabe ohne
beinchen bin
….und wenn‘ ich zerplatz‘
wie ’n kugelfisch, weil’s zu
heiß geworden ist
…vielleicht war es ja
meine liebe zu dir
und deine wut auf mich
will ich’s mir eingestehen?
[wie ein falter das licht]
lyrix bedankt sich für eure flatternden und leuchtenden Einsendungen voller Spannung und Tragik und gratuliert sehr herzlich den sechs Monatsgewinner*innen Henrike Biermann, Ruta Dreyer, Rosa Engelhardt, Tom Niklas Pohlmann, Sarah Stemper und Maximus Rasm!