Unsere Gewinner*innen im August 2025

Wettbewerb im August 2025

https://großstadtwildnis030.de

Stine Möller

2011

Ich schwimme durch das Menschenmeer,
das durch den Großstadtdschungel strömt.
Ich bin irgendwo zwischen 
Asphaltwüste und Hochhauslandschaft.
Inmitten tausender Lebewesen,
doch welches lebt?
Wenn eigenständige Fortbewegung 
immer noch ein Merkmal der Lebewesen ist,
dann sollte den Menschen dieser
Status schnell aberkannt werden.
Außer man zählt Autos und E-Roller
schon als Teil des Menschen.
Sollte man.
Aber leben?
Nee, würde ich nicht sagen.
Ich steige aus der überfüllten Bahn lebloser Hüllen
und suche nach einem Fünkchen 
Hoffnung.
Challenge accepted –
Ich erobere für mich
den Status zurück.
Ich schaue den Leih-E-Roller an
und gehe einen Schritt weg.
Wow –
ein Schritt.
Ein Schritt in Richtung Leben.
Ich brauche jetzt jemanden
der mir zeigt, wie 
es geht.
Ich verwerfe den Gedanken –hoffnungslos.
Obwohl…

eine maus
klein und flink 
sie läuft
kann ich das auch?
es ist schwerer für mich
als für sie.
meiner meinung nach.
ich weiß nicht wieso,
aber ich laufe ihr hinterher.
vorbei am kiosk an der ecke
flitze ich.
oder sie?
in der maus sehe ich mich.
oder sehe ich die maus in mir?
sie lebt 
und ich will leben.

Zwischen Zeitungs- und Papier,
zwischen Bahn- und Hof,
lebt ein kleines Tier,
lebt ein kleines Tier,
lebt ein kleines Tier in mir.
flink und klein,
unbemerkt, doch nie allein,
wild und frei,
das Leben zieht hier nie vorbei,
ungesehn ohne Versteck,
eine Heimat in Staub und Dreck,
auf Nahrungssuche hinterm Aldi Nord,
der Zufall hat das letzte Wort,
winzig klein, mutig wie ein Tiger,
erlange ich mein Leben wieder,
versteckt in einer Cola-Dose,
erblüht mein Leben wie eine Rose,
es piekst und tut weh und ist wunderbar,

die Schönheit in mir ist wieder da.
Das Leben und ich werden wieder wir
denn in der Maus fand ich das Tier in mir.

Denn ich bin der Projektleiter dieser Hochhäuser

Tonda Montasser

2011

Hinter gentrifziertem Beton fall ich
in den Stadt-

Wald, wo Glas-süchtige Hochhäuser hoch
ragen, die letzten Tannenzapfen bedrohen

Ich schwebe auf Moos-Betten
geschützt von Erosion und Schadstoffen…

Ein Wildschwein
Mit eingefallenem Rücken

begleitet mich.
Atmet ein, atmet aus:

Hier ist es zu gefährlich
Wir haben keine Macht.

Mein Wildschwein und ich
starren auf den Wald,

der immer schneller
und näher umfällt.

Die Hochhäuser essen
den Wald auf…

Die Menschen nehmen uns
den Boden weg…

Lass uns alles stürzen,
die Brombeerranken zertreten,

die Keimlinge überwuchern
von Eichen und Kiefern,

wir verjüngen den Wald,
vermischen Nährstoffe,

Indem wir unsere Hauer
tief in die Erde stoßen

spiegeln uns im Glas der Hochhäuser,
kehren nachts in die Straßen zurück

holen die Stadt
wieder in die Schatten

der Bäume.  

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky – Schwanensee

Sophia Nichol

2011

Eigentlich zu schön
Um Stadttier zu sein
Zu prächtig, zu mächtig
Dreckige Donau, dreckiger Rhein
Eleganz in Person
Oder eher – in Tier
Schreiende Kinder, Stiller Flügelschlag 
Fürchtet euch, ich bin hier!
Entfalte meine Flügel 
Ich mache mich nicht klein
Bin Vogel um zu schweben
Nicht um am Boden zu bleibn
Begrenzen eure Ufer, 
Mein endloses Reich  
Ihr liebt’s, bin die Pause der Stadt
Der Gedanke, weiter als mein Teich 
Und über Brücken und boote
Lasse ich euch gehen
Mein scharfer Blick durch dunkle Augen
Zu schön/mächtig für euch, werdet es nie verstehen

Auf den Abgasen eines Fells

Lola Petri

2014


AUF DEN ABGASEN EINES FELLS
Wie ein ausgesetzter Köter 
Derer, die sich nicht um uns scheren 
Sitze ich auf dem Boden der Straße. 
 
Ich säubere mein…?
Es ist kein Fell.
Denn ich sitze auf dem Boden der Straße 

Ich gehöre nicht hierher.
Hier bin ich kein Tier.
Oder ist man das auf dem Boden der Straße?

Es ist gefährlich.
Für sie und deshalb für mich. 
Warum sitze ich auf dem Boden der Straße?

Weil sie es auch sind.
Sie sind in meinem Revier 
Ich auf dem Boden der Straße.

Ich weiß wieder, was ich bin.
Sie rufen es.
Ein Wolf auf dem Boden der Straße! 

Doch erschrecke ich mich?
Sie sehe ich oft.
Nicht auf ihrem Boden der Straße.

Warum leben sie hier?
Ich verstehe es.
Sie sehnen sich nach dem Lärm auf dem Boden der Straße.

Und sind zuhause.
Ich sehe die ausgefledderten.
Sie kleben auf dem Boden der Straße.

Doch manche leben. 
Beute lebt.
Lebt auf dem Boden der Straße. 

Wie löscht es sie nicht aus?
Sie wurden hier geboren.
Sie sind Verwandte der Besitzer des Bodens der Straße. 

Sie sind eingeschweißte
Veränderte…
Aber keine schlechten Bewohner des Bodens der Straße.

Lerne ich?
Nein.
Denn ich sitze auf dem Boden der Straße.

Aber hier, wo ich niemanden rieche.
Fressen.
Aber nicht die Besitzer des Bodens der Straße.

Angst.
Der einzige Geruch.
Auf dem Boden der Straße.

Dort, um mich herum.
Zu viele. 
Die sie nicht sehen.

Aber mich sehen sie.
Ich bin immer hier.
Und sehe den Boden der Straße 

Bin ich eingeschweißt?
Nein.
Die Besitzer sind lebende große Tiere auf dem Boden der Straße.

Nichts anderes.
Ich sollte ihnen nichts tun.
So denken wir außerhalb des Bodens der Straße.

nachts, als die eule nicht flog

Annika Schuler

2011

sie ziehen vorbei
schnell, gefährlich, tödlich
laut, unglaublich laut
vorbei, immer vorbei,
vorbei an mir.
sie beachten mich nicht
niemals
und doch bin ich da
immer.
im kalten zwielicht des schwindenden lichts 
sitz ich da.
umgeben von 
eiskalt, hart, unüberwindbar, totem 
betont
ein hoffnungsschlucker.
im kalten zwielicht des endenden lichts folgt die dunkelheit.
doch es ist hell, so hell, blendend
wie nichts.
ich verstehe nicht, wie sie das vertragen
trostlos und einsam, 
inmitten von vielen, von allen, 
so allein.
wie nichts, ziehen sie vorbei,
versunken inmitten von leere.
einem gefängnis. 
beton 
ein hoffnungsschlucker.
im kalten zwielicht des kommenden lichts.
so selten, fast wie ein traum,
ein leichter klang.
verweht.
ein lachen.
und wieder ziehen sie vorbei
schnell, gefährlich, tödlich, 
und doch,
leise, so unglaublich tröstlich.
ein hoffnungsschimmer




.

Das Schwein

Marieke Wacker

2013

Wir haben neuerdings ein Schwein Zuhaus
Es macht keinen Sport, und geht nicht gern raus
Lesen mag es auch nicht gern
Es frisst lieber Chips und sieht 8 Stunden fern

Das Schwein kommt erst um 12:00 Uhr aus dem Bett
Ich muss um sechs aufstehen, das finde ich nicht nett
Wenn ich nach der Schule komme herein
Schläft es noch, dieses kleine Schwein

Mama sagt, ich muss um acht zu Hause sein
Diese Regel gilt nicht für das Schwein
Wir haben einen Chip festgemacht, damit wir es finden
Aber das Schwein hat ihn abgemacht und konnt‘s dem Hund umbinden

Das Schwein kann neuerdings auch laufen
Und sich bei McDonald’s was zu essen kaufen
Es trägt eine Sonnenbrille und eine Kette
Sie ist aus Gold und ist ziemlich fette

Das Schwein ist Stammkunde im Selbstbräunsalon
Kriegt viel Süßes gibt, gibt keinem bloß ’nen Bonbon
Das Schwein ist auch ein Kannibale
Frisst Tiefkühlbraten gleich mit Schale

Neulich hatte es Fernsehverbot
Doch damit hatte es keine Not
Es konnte Mama die Fernbedienung entwinden
Und keiner kann sein Handy finden

Das Schwein ist auch nicht gerade arm
Wenn’s um Geld geht, ist es nicht lahm
Es kann klauen wie ’ne Elster
Seine Kette hing früher im Schmuckladen Relster

Unser Schwein ist neuerdings auch Bürgermeister 
Und es sitzt auf dem Stuhle und wie durch Kleister
Warum glaubt man das Amt bloß dem?
Es schläft und frisst und hat’s gern bequem

Ich glaub, es versteckt auch Dynamit
Doch wenn ich’s Mama sagt, ist es immer das gleiche Lied.
„Wir wissen‘s ja nicht, das Schwein ist doch lieb!
Ganz sicher ist das Schwein kein Dieb!“ 

Das Schwein hat auch viele Freunde gefunden
Die kommen gerade so über die Runden
Das Schwein spielt den Gönner, doch gibt nie was ab
Wenn’s gefragt wird, dann tut es müde und schlapp

Das Schwein hatte mal einen Freund, den Schweinescheich
Er heißt Peter-Friedrich, und der ist reich
Er war es zumindest, bis unser Schwein kam
Jetzt lebt er auf der Straße und ist bettelarm

Doch neulich ist etwas Tolles geschehen 
Wir haben uns Reisekataloge angesehen
Wir wollten einfach mal raus aus der Stadt
Um zu sehen, was Hawaii so zu bieten hat

Im Hotel darf man keine Tiere dabei haben
Das Schwein hörte das, jetzt hat Mama drei Narben
Wir haben‘s für die Zeit ins Tierheim gegeben
Zwei Wochen kann es da ja leben

Doch leider haben wir uns da geirrt
Wer hätte gedacht, wie stark das Schwein wird?
Es bog in der Nacht die Stäbe entzwei
Und dann war es wieder frei

Dann rannte es so schnell, wie es ging
Zu unserem Haus im Vogelring
Es nahm unser und sein ganzes Geld
Dann floh es in die weite Welt

Als wir dann nach Hause kamen
Konnten wir ja nicht ahnen
Dass das Schwein nicht mehr da war, sondern weg
Besonders groß war bei Mama der Schreck

Sie weinte und verfluchte das Schwein
Es war ja wirklich ganz schön gemein
Das Geld gehörte ihm nicht, und es hat sich’s genommen
Heute ist ein Brief angekommen:

Hallo Familie, schön euch zu schreiben                                                        
Im Tierheim wollte ich leider nicht bleiben
Jetzt wohne ich Deutschland nicht mehr nah
Ich wohne jetzt in den USA

Ich wohne jetzt direkt am Meer
In einem Weißen Haus mit Kühlschrank leer
(Der füllt sich von selbst, wie durch Magie
Das hab ich programmiert – mit KI)

Ich hab ’ne App erfunden für Essen
Per Drohne geliefert direkt in die Fr*****
Die Leute sind süchtig, ich bin sehr reich
Hab Aktien, Diener und ’nen riesigen Teich

Ich hab jetzt Follower, viele, sehr viele
Und spiele im Netz Computerspiele                                                        
Ich geb Interviews im Pool (natürlich mit Stil)
Und grunze allen: „Erfolg ist mein Ziel!“

Mein Schweineleben ist jetzt perfekt
Ich hab im Haus Millionen versteckt
Wenn ihr mal Ferien macht, kommt vorbei
Doch ich will viele Geschenke (ich bin mal so frei)



Schreibe, um zu träumen.

Schreibe, um zu träumen.