Unsere Gewinner*innen im März 2024
Wettbewerb im März 2024
An Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach
Finja Alsleben
2009
Hättest du dir damals vorstellen können, was passieren wird?
Du, fern der Heimat, 17 Jahre jung, verheiratet
Ein neues Schloss, eine fremde Stadt
Du, in einem englischen Märchenschloss, auf einem preußischen Berg mit Thüringer Flair
Kurios
1835 im Sommer bist du also im Schloss Babelsberg zuhaus`
War es das für dich? Ein Zuhause?
Eine Heimat, deine Stadt?
Hoch oben über den Weberhütten,
bauten sie dir ein Schloss auf Sand
Fühltest du dich willkommen hier im Havelland?
Deine Heimat, deine Stadt?
Augusta, Kronprinzessin, Frau des künftigen Kaisers und Königs
Ein schwarzes Schaf in Berlin, so viele Feinde am Hofe
So viel Neid, so viel Missgunst
Doch du sagtest deine Meinung frei heraus, nur einer wie Bismarck, der hält das nicht aus
Dein Märchenschloss, dein Park, eure Sommerresidenz
Hier akzeptierten sie deine Meinung
Deine Heimat, deine Stadt
Doch war es dein Zuhaus`?
Das Feuer der Revolution bricht aus in Berlin!
Dein Mann im Exil, wohin kannst du fliehen?
Hoch oben über den kleinen Weberhütten steht noch immer dein goldenes Schloss auf Sand
Kommst hier her, mit zwei Kindern an der Hand
Deine Heimat, deine Stadt
Tage vergingen, Jahre vergingen
Augusta zog weiter
Ein neues Leben, eine neue Stadt
Adler umkreisen das leere Schloss
Was bleibt von Augusta, wer kennt sie hier noch?
Fast zwei Jahrhunderte später, sitz` ich hier auf deiner blauen Lieblingsbank
Ich wandle auf deinen Wegen
Stehe unter Baumriesen, die in deiner Zeit nur Sprösslinge waren
Ich rieche an deinen Blumen: roten, blauen und weißen
Efeu umrankt dein Märchenschloss
Ich schaue vom Berg des Schlosses auf:
„Meine Heimat“, „unsere Stadt“
Babelsberg
Kleine Halbzeitreise
Mylinn Goodwin
2013
Kambrium
Hier, wo ich jetzt sitze,
war früher eine Flachwasserregion.
Es schwammen viele, viele Trilobiten vorbei.
Dreigeteilte Körperform.
Aussehen wie ein plattgetrampelter Schmetterlingskörper.
Dies war vor circa 530 Millionen Jahren.
Das ist mir zu lange her. Deswegen reisen wir ein Stückchen weiter in der Zeit.
Ordovizium
Hier, wo ich jetzt stehe,
schwammen früher die Agnathen vorbei.
Kieferlose Urfische.
Älteste bekannte Wirbeltiere der Erdgeschichte.
Dies war vor circa 475 Millionen Jahren.
Das ist mir zu lange her. Deswegen reisen wir ein Stückchen weiter in der Zeit.
Silur
Hier, wo ich mich jetzt drehe,
war früher ein Schelfmeer.
Es schwammen Tolypelepis herum.
Fischähnliche Wirbeltiere.
Älteste Bekannte einer Gruppe urtümlicher Panzerfische.
Keine Flossen außer die Schwanzflosse.
Dies war vor circa 410 Millionen Jahren.
Das ist mir zu lange her. Deswegen reisen wir ein Stückchen weiter in der Zeit.
Devon
Hier, wo ich jetzt liege,
lag früher ein Schlangenstern auf dem Meeresboden.
Kleinwüchsig.
Aussehen erinnert an zierlichen Seestern.
Fortbewegung durch fünf bewegliche Arme.
Dies war vor circa 359 Millionen Jahren.
Das ist mir zu lange her. Deswegen reisen wir ein Stückchen weiter in der Zeit.
Karbon
Hier, wo ich jetzt springe,
flog früher die Riesenlibelle in Sumpfgebieten herum.
Bis zu 40 Zentimeter Flügelspannweite.
Größtes bekanntes Insekt Deutschlands.
Grund: Hoher Sauerstoffgehalt während Karbon.
Konnte nicht gut fliegen.
Dies war vor circa 300 Millionen Jahren.
Das ist mir zu lange her. Deswegen reisen wir ein Stückchen weiter in der Zeit.
Perm
Hier, wo ich jetzt tanze,
flog früher der Coelurosauravus.
Ältestes bekanntes flugfähiges Wirbeltier der Erdgeschichte.
Lange bevor die Flugsaurier kamen.
Langer Schwanz.
Dies war vor circa 250 Millionen Jahren.
Hier gefällt es mir. Hier bleibe ich, denn
Hier waren die ersten Schmetterlinge.
Sie lebten nämlich vor circa 250 Millionen Jahren.
Bis heute.
Und sind damals schon den Dinos um die Nase geflattert.
jetzt/damals
Henrike Klindt
2011
Früher war alles besser
Sagt Papa
In der Zeit will man nicht leben
Nicht so wie damals
Sagt Mama
Ich denke
Damals hab ich gar nicht nachgedacht
Über sowas
Aber jetzt frage ich mich schon
War das jetzt wirklich alles schlecht
Damals
War es jetzt wirklich gut
Damals
Oder war es
eigentlich
nur einfacher
Damals
Die Welt ist jetzt komplex geworden
Sagt Opa
Früher war alles anders
Denke ich
Früher war Mathe auch nicht so schwierig
Aber ich frage mich jetzt schon
Was passiert wäre
wenn…
Egal
ich schweife ab
Also war es jetzt damals wirklich schwieriger
Oder jetzt nur einfach
Zu einfach?
Klar das Leben ist hart gewesen
Damals
Das Leben ist schwierig gewesen
Damals
Das Leben ist aber auch leicht gewesen
Damals
Nur versteht man das glaube ich schwer
Zu Papas Zeit
Weil
Das war ja auch alles anders
damals
Der Baum hatte mehr Regen
im Winter und Herbst
Im Sommer
Damals
war es auch nicht so heiß
Aber denk auch nur an die Überschwemmung
An der er so gelitten hat
Damals
wenn man jetzt ganz genau hinschaut
Kann man noch eine Narbe erkennen
Vom Feuer
Die ist verheilt
Jetzt
Mit der Zeit
Damals hat niemand die Erde umgegraben
Aus der er sich jetzt
immer noch
Nährt
Und damals
Hat er auch nicht viele Äpfel getragen
Die seine Krone beschweren
Das ist schwierig für ihn
Das ist hart für ihn
Die Hitze
Zu wenig Regen
Aber damals
Da war es auch nicht leicht
Für Opa
Für Mama
Für Papa
Also Einfacher ist das Leben jetzt zumindest nicht geworden
Nur anders
Als damals
Denke ich
Das Leben ist im ständigen Wandel
Die Welt dreht sich schneller
Sagt das Internet
Lustig oder
Papa sagt
Bei dem Wort Handy
hätten alle nur komisch
Geguckt
In ihre leeren Hände
Damals
Vielleicht ändert sich die Welt auch ein bisschen zu schnell
Jetzt
Und vielleicht
War es langsamer
Damals
War es einfach einfacher
damals
Opa sagt
Heute kriegt niemand mehr was ordentliches auf die Reihe
Weil es jetzt schwieriger geworden ist?
Oder
Etwas zu einfach
War es jetzt einfach langsamer damals
War es damals
Wirklicher
Früher hab ich über so was wirklich nicht nachgedacht
Denke ich
Da hab ich im Sandkasten gesessen und mich gewundert
Warum man den Hörer auf eine Gabel legt
Und nicht auf ein Messer
friedensfantasien
Anna Merklinger
2009
Ein roter Faden hält vergessene Bilder zusammen
und warmer Wind hallt verzweifelten Schreien nach
Ein Sprung in die Zeit sind für uns nur gereiste Gedanken
doch träumende Seelen, sie sehnten sich so sehr danach
Denn ein Schritt zurück tritt in Blut und Tränen und Scherben
rennt in dunkle Bunker und laute Schüsse hinein
blickt tagtäglich der Angst und dem Tod entgegen
verliert alles und ist schlussendlich allein
Für uns ist es einfach
wir schweben aus all den Trümmern
zurück in unsere heile Welt
Doch für sie ist die Grenze zu heute unüberwindbar
sie lauschen geduckt den wütenden Stimmen im Feld
Die Angst,, in der nächsten Sekunde
entdeckt zu werden
Angst, dass man seine Geliebten für immer verliert
überschattet den Schimmer von Fantasie und Hoffnung
unvorstellbar, dass hier eines Tages Frieden sein wird
Weder Raum noch Zeit
Skylar Rath
2009
Ich möchte in der Zeit zurück.
Zu dem Punkt, an dem sie nicht existierte.
Als aus Nichts alles wurde.
Wo die Ungewissheit ihren Ursprung hat
und Wörter ihren Wert verlieren.
Ein Punkt, an dem nichts richtig ist.
Nichts falsch ist.
Ein Punkt, an dem nichts ist.
Als Raum nur ein Phantom war,
von niemandem erlebt.
Von niemandem hinterfragt.
Wie schreibt man über das Verlorene?
Das, was nicht mehr ist.
Das, was nie war.
Möchte schreiben über alles, was nie war
und alles, was nie wird.
Nicht verstanden von den klügsten Köpfen.
Nicht erfasst von intensivsten Gefühlen.
Möchte auch solch Anfang sein.
Doch stecke in einer bereits vorhandenen Welt.
In einem Haus zwischen Wald und Feld.
Stecke fest in einem Augenblick.
Die Existenz der Zeit ist meine Grenze.
Die Einzige, die ich niemals werde zu übersteigen wissen.
Der Wandelstein
Emil Vieler
2012
Ich, der Stein.
Man sagt, ich bin die Ruhe in Person.
Doch das ist eine Lüge.
Ich befinde mich im ewigen Wandel.
Mal ein Haus, dann eine Höhle.
Ich sah alles, was euch verborgen ist.
Ich sah den Steinzeitmenschen
Das Feuer entfachen.
Ich sah ihn sich freuen, ich sah
Ihn sich verbrennen, denn ich war
Ein Stein, der sein Lagerfeuer umrandete.
Ich sah das erste Rad, ich sah den
Menschen schwere Lasten leicht tragen,
Denn ich wurde mit dem ersten Wagen transportiert.
Ich sah die ersten medizinischen Fortschritte,
Die Menschen retteten, denn ich war die
Laborwand.
Was bei euch Wissen genannt wird,
sind nur angesammelte Informationen,
So viel habt ihr nicht überprüft,
nicht selber gesehen,
einfach geglaubt
Einfach akzeptiert.