Unsere Gewinner*innen im Mai 2023

Wettbewerb im Mai 2023

Herzlichen Glückwunsch, Banu Beinhauer, Hilde Beverungen, Valentina Gartke, John Frederik Lindenberg, Tonda Montasser und Mona Ilena Schlegel! Ihr seid die Monatsgewinner*innen zum Mai-Thema „ein faden führt“! Dafür solltet ihr euch einen Alltagsgegenstand suchen und ihm ein Gedicht widmen. Inspiration gab es von dem Gedicht „teebeutel“ des Autors und Übersetzers Jan Wagner. In euren Gewinner*innengedichten habt ihr Uhren, Spiegel und Kräne bedichtet, uns Rätsel gestellt und erschütternd beschrieben, was nach dem Kauf eines Schwangerschaftstests im Supermarkt passiert ist. Die vollständigen Texte könnt ihr im Folgenden lesen.

uhren tragen sowieso zu wenig zeit

Banu Beinhauer
2008

sie sitzt da
schaut auf die uhr vor ihr an der wand
die viel zu schnell
gähnend langsam ihre kreise zieht
fragt sich, wohin all die zeit verfliegt
letzens noch wurde sie von der mutter gefragt
was raum und zeit gemeinsam hätten
„beides ist relativ“
schoss es aus ihrem mund
doch jetzt dort sitzend vor dieser uhr
kam der moment
an dem sie ihre antwort in frage stellte

re;la;tiv
etwas, was mensch nicht greifen kann
was irgendwie da ist
doch auch wieder nicht
relativ macht mensch angst

sie sitzt da
vor der uhr die versucht
der zeit ihr relativ zu nehmen
versucht den menschen halt zu geben
vor ihr eine uhr
in ihr eine wut die mit jeder sekunde
stärker wird
wut auf die menschheit
auf die gesellschaft
das system
welches immer alles kontrolieren will
wut auf diese uhr
die seit 14 jahren über der küche hängt
wegen der sie verlernt hat
wie man in der gegenwart lebt

Lutscher und Schwangerschaftstests

Hilde Beverungen
2009

Im Supermarkt
Eine Kasse
Daneben ein kleiner Korb
Ein Korb mit Lutschern & Schwangerschaftstests
Ein trauriges Bild
Von gefallenen Träume
Die von jungen Mädchen
Noch so viel erleben
Sich Träume erfüllen
Das wollen sie
Sie hoffen

 Eine zweite Linie
Sie würde zerstören
Alles nehmen
Was da ist
Und was käme

 Eine großer Schock
Die zweite Linie
Auf dem Test
Ein Test
Der nicht gekauft werden sollte
Von den so Jungen
So Hoffnungsvollen

 Die Lutscher
Sie sollten sie kaufen
Kindheit
Die sollten sie genießen

 Doch was soll Mann nun tun
Die zweite Linie
Die Verachtung anderer
Auch Liebe ist vergänglich

Doch die Folgen
Sie bleiben
Sie zerfressen
Zerfressen das Leben
Zerfressen die Hoffnung

Die Liebe
Sie zerstört Leben
Für neues Leben

 Die Ärzte
Sie können nicht helfen
Das Gesetz
Es zerstört die Träume
Zerstört die Hoffnung
Die letzte Hoffnung
Die eine Abtreibung barg
Sie ist zerstört

 Es ist aussichtslos
Hoffnungslos
Nichts kann mehr helfen

 Die Trauer
Sie zerfrisst
Mit dem Gewissen
Man kann nichts tun
Nichts bieten
Nicht sich selbst
Nicht mit dem in sich
Was man nie wollte

 Mord
An sich selbst
Mord
An dem in sich
Ein letzter Ausweg
Denken sie
Weg von der Trauer
Weg von der Schande

 Und so gehen sie von uns
Sie kehren nie wieder
Es bleibt nur eine Erinnerung
Eine bittere Erinnerung
Um Leben und Tod

 

 

 

Dieses Gedicht behandelt das Thema Suizid. Bist du depressiv oder plagen dich Suizid-Gedanken? Dann suche dir bitte sofort Hilfe.
Du kannst anonym den kostenlosen Krisenchat kontaktieren oder anonym über die kostenlosen Hotlines 116 111 (Kinder- und Jugendtelefon) oder 0800–111 0 111 (Telefonseelsorge) anrufen. Hier bekommst du Hilfe von Berater:innen, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

Der Spiegel

Valentina Gartke
2012

Der Spiegel, er sieht dich wie du verschlafen aus dem Bett kommst.
Er sieht, wie du dich fertig machst.
Nicht nur du bist verschlafen, auch der Spiegel ist es.
Der Spiegel hat auch eine Familie.
Der Vater hängt groß im Flur.
Die Mutter hängt im Bad.
Der Kleine ist der Handspiegel.
Man klappt ihn auf und zu
und er sagt: „buhhh!“

Verschieden und doch ein Wort

John Frederik Lindenberg
2010

I

Er war von guter Herkunft,
Hatte eine glänzende Zukunft
Stammte vom einem hohen Tier
-Mit dem Kreiszeichen Stier-
War voller Stolz
Immer ganz vorn
Nicht Plastik, Metall oder Holz
Sondern Horn!

 II

Er war von schlechter Herkunft
Hatte eine ziemlich matte Zukunft
Stammte aus einer der hiesigen Fabriken
-Seine Brüder und Schwestern waren Repliken-
Er war gleich
Gleich gleiches Leben.
Drücken war sein Fachbereich,
Hat Tausende gegeben.

 I

Von Hand geschliffen und blank poliert,
Mit Spezialklebe fest fixiert,
Auf dem Verkaufstisch präsentiert,
Sofort zugegriffen und kassiert.
Von seinen Kollegen stolz flankiert,
-Zusammen waren sie zu viert-
Damit der Mann auch ja nicht friert,
Oder noch was Schlimmeres passiert,
Halten sie den Bauch raffiniert
Zusammen, und das ganz talentiert.

 II

Ausgestanzt wie eine Kuchenform,
Gefärbt nach einer festen Norm,
Wieder `ne Fabrik und eingerammt
Auf den Platz ihm angestammt.
Für ihn beginnt das neue Leben.
Dicke Finger, der Schweiß bleibt kleben.
Frustrierte Hände hauen auf ihm rum.
Er kann doch nichts dafür, sind die denn dumm?
„Ey du da, Maschine kaputt!
Er ist wieder schuld, legt ihn in Schutt!“

 III

Sie werden sich niemals begegnen
Und sind doch zusammen, immerfort.
Sie könnten nicht verschiedener sein
Und sind doch ein Wort.

„This is no love song, this is a crane song“

Tonda Montasser
2011

Schwester, für dich
 

der Nackenbereich
der Geodreiecke.

Im golden-delicious
Himmel

bewegen sich
in rechten Winkeln

wie altgriechische Kraniche
Kräne, blaugraue

Wachsamkeiten.
Gittermastkräne

Portalwippkräne,
Dreh-, Lenk-, Bock- und Brückenkräne,

Kräne auf Schienen,
Kräne auf Schiffen,

Raupen- und Goliathkräne,
mit sich drehenden Säulen

mit sich streckenden
Teleskoparmen

Kräne in x-beliebiger Höhe,
ihre Y-Achsen

Zentral im Mittelpunkt,
wie du.

Dein schlafloses Schauen
auf Trümmerstädte.

Kräne zeigen den Weg.
Schleudern Dunkelheit weg.

Meine Schwester und die Kräne
Gottheiten gleich

singen in Sonnensonaten-
Tattoos

den Einsturz alter Gebäude:
I´m A Wrecking Ball.

Die Schwarz-Weiß-Photographie eines Regenbogens

Mona Ilena Schlegel
2010

Violett – das ist dunkelgrau. Fast schwarz

 – es ist der Name eines schönen Mädchens, das in einem weißen Kleid unter einem Baum schaukelt.

Blau – ein weicher, hellerer Ton Grau mit fließendem Übergang zu Grün

und das Gefühl in den Himmel zu schauen, Wolken zu taufen, und ihnen in dem sich immer drehenden Karussell eine gute Reise zu wünschen.

Grün – hier ist die Mitte, welche Orange ähnlichsieht, jedoch durchscheinender ist

 – in der Mitte läufst du mit nackten Füßen auf taufrischem Gras, während durch die Stille tschilpend ein Rotkehlchen jubiliert.

Gelb – ein blasses Grau, beinahe Weiß

 – das Gefühl, wenn du in die Sonne blickst, einen Moment standhältst, und schließlich mit tränenden Augen blinzeln musst.

Orange – ein glattes Grau an Grün und Blau erinnernd

 – der Moment im Sommer in der Eisdiele, kurz bevor das Eis doch von der Waffel auf das weiße Kleid tropft.

Rot – wieder dunkler, noch kein Violett

 – der erste Tag, an dem der winzige Pool aufgebaut wird, und alle Freunde gleichzeitig mit dir ins Wasser springen.

 

Ein bunter Faden führt nun durch unser beider Leben.

Schreibe, um zu träumen.