Unsere Gewinner*innen im Juli 2022

Wettbewerb im Juli 2022

Wir bedanken uns für all eure Einsendungen im Juli! Eure Gedichte haben wir mit Spannung und Freude gelesen und möchten an dieser Stelle Banu Beinhauer, Hanna Christel, Johanna Lammers, Tonda Montasser, Mona Ilena Schlegel und Freya Werner gratulieren. Eure Texte wurden von der Monatsjury ausgewählt! Herzlichen Glückwunsch!

Aufgerufen wart ihr in diesem Monat, uns Tagebucheinträge in Gedichtform zu schicken. Ihr habt uns Tage von morgens bis abends beschrieben, „Erwachen. / Aufstehen. / Taumeln.“, ihr habt uns einen lyrischen Wochenüberblick gegeben, „Mittwoch:
Ein Ohrwurm wurde durch den Tag genäht.“, und ihr habt uns geschrieben, welche Sinneseindrücke in einem ganz kurzen Augenblick auf uns einstürmen können: „Es fühlt sich an wie eine lange Zeit, / Dabei ist es doch nur ein kurzer Moment der Ewigkeit.“ Die Texte der sechs Monatsgewinner*innen könnt ihr im Folgenden lesen. Viel Spaß dabei!

wenn farben verschwimmen

Banu Beinhauer
2008

Ich habe Luftschlösser gebaut
und Wettrennen über
viel zu heißen Sand gemacht
Ich habe beim
Kirschkernweitspucken verloren
und mir vor Lachen in die Hose gemacht
Und ich habe meine kleine Welt
bunt gemalt,
während ich im Regen durch
die Welt tanzte

Habe jeden Tag
aufs Neue geliebt
Und frag mich, wie es sein kann,
dass ich jetzt einfach hier lieg

Während die Luftschlösser einstürzen,
und selbst der heißeste Sand
zu Eis erfriert
Das Lachen, was mich einst durchflutete,
versickert ist
Und die Farben, in denen ich gelebt habe,
in einer schwarz-weißen Pfütze verschwinden
Draußen die Sonne,
die die Welt erleuchtet,
lieg ich hier
Lieg ich hier und weiß,
dass dies
mein Ende bedeutet

Betonblumen

Hanna Christel
2008

Fahrradwege blühen,
Klassenzimmer treiben,
Hitzewellen glühen,
Pausenbäume bleiben. 

Bahnkabinen sprießen,
Bücherdschungel keimen,
Hausaufgaben gießen,
Schreiben im Geheimen. 

Eiscremekugeln blühen,
Gehsteigkanten grünen,
Wasserfälle sprühen,
Auf bunten Freilichtbühnen.

Momentaufnahme

Johanna Lammers
2008

Lächelnd schau ich auf den See hinaus,
Die Oberfläche vom Wind ganz kraus.
Ich konzentrier mich ganz auf meine Sinne,
Und halte einen Moment inne.

Ich seh einen gelben Ballon, der am Himmel fliegt,
Ein weißes Boot, das in der Nähe vor Anker liegt,
Enten, die sich auf den Wellen wiegen,
Paare, die sich in den Armen liegen.

Das alles seh ich hier.

Ich hör Musik, die grad verklingt,
Eine Frau, die dazu singt.
Wellen, die gegen den Strand schlagen,
Möwen, die sich laut über Hunger beklagen.

Das alles hör ich hier.

Ich spür die Bank, auf der ich sitz,
Die Sonne, wegen der ich schwitz.
Die leichte Brise, die hier weht,
Das Eis, das mir auf der Zunge zergeht.

Das alles spür ich hier.

Ich riech die klare Luft,
Ebenso wie den leichten Sommerduft.
Den nassen Hund, der in der Nähe liegt,
Den Fischgeruch, aus dem Boot, das sich auf den Wellen wiegt.

Das alles riech ich hier.

Das alles ist aber nur ein Moment,
Wie jeder ihn auch kennt.
Es fühlt sich an wie eine lange Zeit,
Dabei ist es doch nur ein kurzer Moment der Ewigkeit.

Nur eine „Momentaufnahme“.

Faust 1, youtube-Version

Tonda Montasser
2011

Traum-Speicheldrüse (3 a.m)

 Alltag in Hybris:
Gott spielt wieder Messias.

Dichtung, ein Spiel
mit geklauten Bibel-Begriffen,

Epiphanien in homöopathischer Dosis,
sich sehnend nach Glossolalie…

Und dann
geht die Sonne auf.

 

Wiedererkennungs-Gegenwart (6 a.m)

Wache auf…
Weiße Unterschrift im Himmel.

Rhythmen der Galaxien…
Terrassenmassakerkinder fallen

nach unten, verwandeln sich
in Gottheiten.

Überschätzter Metarealismus
schmort zwischen Mandeln.

Als sei an allem Leben
der Blinddarm schuld.

 

Bambus-Spaziergang (5 p.m)

Gehe nach draußen mit 42.
Gespräche wie zwischen Gott und Mephisto:

„Menschheit gleich Reality-TV!“
„Meine Schöpfung ist sinnvoller als dein Swimming Pool!“

„Du liebst es doch auch, Menschen zu missbrauchen!
„Wurm, blutige Maden sollen durch deine Augen kriechen!“.

Mephisto beleidigt, kreiert Regenbogen um Regenbogen,
findet nur langsam zum Spaß zurück.

Und dann
geht die Sonne unter.

 

Erlebnis-Namenschild (10 p.m)

Die Nacht in Helligkeit verbringen:
Auf dem Spielplatz der Miserablen,

der Ganz-allein-Seienden,
der Jederzeit-alles-Erwartenden,

schaukle ich hin und her…
Dämon und Rebell.

43 kommt, aka Nickbackbo,
zerrt mich mit in die Milz der Moral.

Überschüttet mich
und die Zensur der Zungen

mit Liebe.

 

RIP Perfektion (3 a.m again)

In meinem Apartment.
Mixe rorange Orangen,
liebe diesen Tag. 

Bin Beherrscher
der Glossolalie,
no Hybris:

Erhebt euch, Seelen,
mit mir zur Epiphanie!

Ich, der Dichter,
im See der Agonie,

 träume weiter…

Tag C

Mona Ilena Schlegel
2010

Erwachen.
Aufstehen.
Taumeln.
„Ich bin nur schlaftrunken“, sage ich zu mir selbst.

Kopfschmerzen.
Meine Schläfen pochen arhythmisch.
Das Pulver in den Mund kippen.
Trinken.

Unterwegs.
Das Pochen verzieht sich in den Hintergrund.
Schwindel.
Anspannung.

Laut.
Alles wirkt zu laut, zu schnell.
Ich suche Ruhe.
Schlaf.

Zuhause.
Sofa.
Kuscheldecke.
Einhüllen und endlich schlafen.

Blinzeln.
Brühe mit Backerbsen.
Erwecken der Lebensgeister.
Lächeln.

Müde. 
Die Wirkung der Suppe verfällt.
Hinlegen.
Fieber.

Corona.

Ein Leben

Freya Werner
2008

Montag: Winde mich widerstrebend aus dem Schlaf.
Enthusiasmus verbirgt die Demotivation:
„Noch fünf Mal schlafen, und dann ist Wochenende.“
(Es sind nur Worte, die alles definieren:
„Ich bin aus Worten, du bist aus Worten“ und dann
„er/sie/es ist aus Worten“…“ich war aus Worten“:
Jetzt ist Wort kein Wort mehr.) Jedenfalls ich lebe
nur auf Stand-by oder auf das Wochenende zu.

Dienstag: Landschaft wird an mir vorbeigezogen.
Nach sinnlosem Herumstarren räume ich den
Blick endlich im Handy auf, wie es sich gehört.
(Ich flüchte, du flüchtest, er/sie/es flüchtet vor
der grauen Alltäglichkeit, Langweile, Wahrheit)
Fahren ruckelnd an die immer gleichen Orte, 
hoffen, dass die Langweile unterbrochen wird.
Scheint, als ob niemand versucht was Neues zu finden.

Mittwoch: Ein Ohrwurm wurde durch den Tag genäht.
Also gehorchen meine Gedanken nicht mehr.
Mein Hirn wirft Textfragmente in das sanfte,
beruhigende Vor-sich-hin-Plätschern des Alltags.
(Ich lasse mich treiben, du lässt dich treiben,
er/sie/es lässt sich treiben: Wir lassen uns im
Weltgeist treiben, was ist nochmal freier Wille?)
Manchmal reißt mich das dann aus der Trance.

Donnerstag: Hände krebsen über Tasten oder
Finger tanzen über klappernde Tastaturen,
als hätten sie im Leben nie was anders getan.
(Ich übe, du übst, er/sie/es übt schon ein 
ganzes Leben lang, wir wollen uns endlich finden.)
Als wären wir nicht aus allem zusammengeklaubt,
das wir mit der Zeit gefunden haben, um uns
jetzt auf einer ewigen Bühne zu präsentieren.

Freitag, endlich Freitag. Ich bin so müde von
dem ständigen Präsentieren, dass ich leise
vor mich hin rebelliere, damit Niemand es merkt.
Also ignoriere ich, was ihr von mir wollt,
was ihr von mir denkt. Es ist egal.
(Ich träume, du träumst, er/sie/es träumt von
einem Leben, in dem er besser ist. Aber
dort würde er auch träumen: Glück ist nicht haltbar.)

Schreibe, um zu träumen.