Unsere Gewinner*innen im Juni 2022

Wettbewerb im Juni 2022

„Geh in mein Zimmer. / Dort wirst du mich finden.“

Im Juni habt ihr uns einen lyrischen Einblick in eure Zimmer gewährt. Was gefällt euch an eurem Zimmer, was möchtet ihr ändern, würdet ihr es am liebsten neu bauen? Das haben wir euch in unserem Aufruf zum Thema „um das haus errichte ich eine stadt“ gefragt. Inspiration gab es von Jana Volkmann und ihrem Gedicht „ein neuer see“.

In euren Texten habt ihr eure Zimmer zu einer bestimmten Tageszeit beschrieben, die Magie des Augenblicks festgehalten,
„Mein Zimmer am Abend“, ihr hattet aber auch Spaß an der Vorstellung, einen ganz neuen Raum und damit vielleicht ein ganz neues Ich zu erschaffen: Ich lege einen Stein, / ich baue eine Wand, / erschaff’ ein neues Sein.“ Ihr habt uns Wut gezeigt,
„würde ich gerne alles niederbrennen / zusehen wie Erinnerungen in Flammen aufgehen“, und auch die überraschende Feststellung, dass euer Zimmer vielleicht doch gar nicht so schlecht ist wie zuerst gedacht: „Ohne es zu merken, errichtete ich die Welt, / ich wusste nicht, dass sie mir so gut gefällt, / genauso wie sie war.“

Herzlichen Glückwunsch den Monatsgewinner*innen Leo Finkenrath, Marina Hammel, Tonda Montasser, Simon Schendel,
Nika Steiding und Freya Werner! Und danke an alle, die uns im Juni ihre Gedichte eingesandt haben!

Mein Zimmer am Abend

Leo Finkenrath
2010

Ich sehe die Sonne als Lampe gehen, 
Keine Ecken sind an den Wänden zu sehen.
Ich sehe im Fenster Universen vor mir, 
Graue Wolken schweben schnell mit dem Wind, 
Ein runder Ball ist mein Zimmer hier.
Die Dunkelheit kommt eilig gerannt, 
Das Licht, die Wärme, der Tag verrinnt. 

Um mich herum wächst ein Dorf heran, 
So schnell, dass ich alles mit ansehen kann.
Ich mache eilig das Fenster auf,
Kühle Luft erfüllt den Raum.
Ich klettere auf mein Hochbett hinauf. 
Still ist es in der Dunkelheit,
Ich schlafe ein, es beginnt der Traum. 

Eine Neue Welt

Marina Hammel
2009

Aus verbrannten Manifesten
errichte ich mich neu!

Seh‘ die Welt anders als zuvor gesehen,
frage mich, ob es ein Ich, wie ich es
vorher war, wird jemals wieder geben.

Ich lege einen Stein,
ich baue eine Wand,
erschaff’ ein neues Sein,
mein altes Ich verbannt.

Ich lege Steine,
weiter, weiter,
bis ein Raum nun vor mir steht.

Ich setze einen Strich,
ich bestimm’ die Farben neu.
Ich erschaffe eine Welt,
gestalte mir mein Eigen.

Neue Worte, neue Namen,
neue Identität, neues Sagen.
Neues Wissen, neue Gier,
eine andre Welt offenbart sich mir.

Ein Anfang, wie im Buch geschrieben,
in Freud und Ruhm die Möglichkeiten
offen vor mir liegen.

In wilder Freude stelle ich den Raum nun voll.
Suche Neues, bis meine Gedanken sind ganz toll.
Doch am vollendeten Abend erkenn’ ich,
in welcher Naivität ich lag.

Ich sehe mir mein Zimmer an,
nehm‘ mir jeden Zentimeter vor.
Sehe, dass alles genauso ist wie zuvor.

Ohne es zu merken, errichtete ich die Welt,
ich wusste nicht, dass sie mir so gut gefällt,
genauso wie sie war.

Ich konnte kaum glauben,
was ich sah.

Ende

Mein Zimmer /Mein Zimmer II (hidden track

Tonda Montasser
2011

Mein Zimmer

Geh in mein Zimmer.
Dort wirst du mich finden.

Der Raum ist weiß.
Ein türkis- und bambusfarbener Schreibtisch,

mit meinem liebsten Albumcover:
„In Utero“. Ein schönes, surreales Bild.

Links davon sechs lange Bücher.
In einem bin ich erwähnt.

Rechts Air-up-Pods, Scheren, sehr viele Kamele,
und dreißigtausend Stifte, die ich

nie benutzen werde.
Ein großer, pompöser Schreibstuhl.

Der Nostalgie zuliebe findest du:
altes verrostetes Lego.

Eine kleine Sammlung goldener Würfel,
die ich ungern beschmutzt sähe von deinen Fingern.

Ein Pferd, das nachts meine gesamten Klamotten trägt.
Eine schwere Aufgabe.

Eine eigene Salzlampe. Sie leuchtet
Rorange, wie Süßkartoffel.

Mein Mülleimer, ein einäugiger Roboter.
Ein blau-weißer Koikarpfen, zu meiner Geburt geschenkt.

Und der Stolz meines Lebens:
eine noch eingewickelte Einhorn-Pinata.

Über meinem Bett: ein nackter Engel.
Gefällt dir nicht?

Dann komm bloß nicht rein…
Oder könntest du mein Publikum sein?

 

Mein Zimmer II (hidden track)

Du bist schon wieder in meinem Zimmer?
Wieso auch immer…

Ein Regal mit vielen Büchern, okay,
von denen ich nur etwa ein Viertel gelesen habe.

Daneben ein Samurai-Clown.
Das Matrixposter vom Ende der 90er.

Ein goldener Tresor für meine Kleidung.
Ein orangefarbener Spint mit

ein paar moralisch verwerflichen Bildern drauf.
Kita-Fotos mit seltsamen Farbstörungen…

Schluss jetzt mit Einrichtung,
ich zeige dir lieber meine echte Welt.

Fledermausattacken und Dinoarmeen.
Du bist ausgeliefert herumwirbelnden Teddybären

im Pappkartonunivsersum.
Ein Mondschaf, das zum letzten Mal „Miau“ sagt.

Aschenblüte ragt als Monster über dir auf.
Dein Schweiß ist ihre Energie.

Deine Angst ist ihr Fett.
(Kein Fleisch, wir sind hier alle Vegetarier).  

Der Samurai-Clown macht veganes Sushi,
deine Henkersmahlzeit.

Zwei Schwerter, das eine aus Holz,
das andere aus Aluminium,

treffen auf deine Augenlider.
Alle Terrassenmassakerkinder zu mir!

Du trinkst aus meinem Trinkschlauch.
Meine Gewichtdecke frisst dich auf.

Falls du dich nicht
in anderen backrooms verstecken kannst.

Dies alles ist
der hidden track.

Er läuft ganz weit weg
von deiner Trance,

die du Realität nennst.

Rezept für eine Welt

Simon Schendel
2008

Rezept für eine Welt:

Teig:

Natur, Sand und Stein in Wasser tränken und verkneten. 
Eine Hand voll Sonne und dreizehntausend Wolken unter ständigem Rühren hinzufügen.
Auf einer Raumzeit-Matte ausbreiten.

Belag:

Eine Hand voll Menschen und eine Hand voll Wirbeltiere hinzufügen. Auf wässerige Bereiche einige Meerestiere streuen. Reptilien und Insekten dort hinstreuen, wo wenige Menschen sind. Mit Pflanzen verzieren.

Glasur:

Diese macht die Welt aus.
Viel Liebe und Freude und eine Hand voll Ehrgeiz mit Festiger anmischen. 
Nun den Ofen auf 360° Leben stellen und die Welt so lange darin erhitzen, bis sie einen frischen und lebendigen Atem hat.

Fertig!

Mein Zimmer

Nika Steiding
2007

Wenn ich mein Zimmer verändern könnte, würde ich
Wände verschieben und Türen verschließen
Fenster bauen und Schlösser reparieren
Alles ein bisschen größer und dunkle Tapeten

Aber das geht nicht
also bleibt mir nur die Wahl
Möbel zu verrücken und auszusortieren
Bücher zu stapeln und Geheimfächer zu bauen
Planen und Verwerfen
dabei aber nicht zu verzweifeln

Ist aber nicht genug
andauernd stapelt sich alles auf dem Boden
Staub sammelt sich in den Ecken und Dreck unter den Möbeln
unnützes Zeug lagert in sinnlosen Regalen
und manchmal, manchmal

ist alles zu viel
fühlt sich dreckig und unordentlich an
kann man auch nicht verdenken
ist schließlich so

Aber manchmal
in diesen besonderen Fällen
würde ich gerne alles niederbrennen
zusehen wie Erinnerungen in Flammen aufgehen
und alte Kuscheltiere zu Asche werden
Sehen wie alles was zu viel war zu Rauch und Nebel wird

Und dann
würde ich alles wieder aufrichten
neue Grundmauern ziehen und Wände streichen
Möbel zurechtrücken und Teppiche verlegen
Bilder und Spiegel an die Wände hängen
und vielleicht eine Topfpflanze aufstellen
Mein Zimmer in ein Paradies verwandeln

Nur hab ich das Gefühl, dass es wieder zu einer Hölle werden würde
Dass ich wieder von vorne anfangen würde
Bilder runter reißen und Wände zerkratzen
Öl über neue Teppiche und zerschlagene Tische gießen
Und es dabei vielleicht sogar ein kleines wenig genießen

Dann dabei zusehen, wie ein Streichholz zu Boden fällt
vielleicht würde ich es auch schnipsen
sähe bestimmt toll aus, wie alles lichterloh aufgeht
und endlich zu einem wird
Einem gleißend hell Brennendem

könnte aber auch gut sein, dass ich es dann vermissen werde
Ist immerhin mein Zimmer
Aber es war auch mal ein Zimmer und irgendwann wird es wieder ein Zimmer sein
Jetzt gerade ist es aber mein Zimmer

Vielleicht versuch ich es doch noch mal mit Möbel verrücken.

Meine graue Stadt

Freya Werner
2008

Ich ersinne die graue Wolkenkratzerstadt
Sie besitzt:
a) Fabriken, mit Maschinen (siehe Nummer Drei)
b) Straßen für Transporter, die auf Parkplätzen stehen
c) Wohnhäuser (siehe Benötigen*:b)

Ich schöpfe das Erste:
Erschaffer,
Es soll nur beim Erschaffen Glück empfinden
Seine Aufgabe:
Es erschafft:

a) Nummer Zwei: 
Handwerker,
sollen nur beim Wiederherstellen Glück empfinden
Aufgabe:
restaurieren die graue Stadt*
finden nach 20 Restaurationen den Tod in Nr.5 (siehe Nr.5b)

b) Nummer Drei:
Arbeiter,
sollen nur bei Fabrikarbeit Glück empfinden
Pflicht: 
a) stellen mit Maschinen Werkzeuge her
b) ernten Lebensmittel* aus Maschinen
(siehe graue Stadt* a)
nach 100 Produkten Tod durch Nr.5 (siehe Nr.5b)

c) Nr.4:
Fahrer,
sollen nur bei Pflichterfüllung Glück finden
Lebenssinn:
transportieren Dinge und Wesen dahin, wo benötigt 
(siehe graue Stadt b)
nach 40 Transporten Dekonstruktion durch Nr.5 (siehe Nr.5b)

d) Nr.5
Zerstörer,
Glück nur bei Lebenszweck
Lebenszweck:
a) dekonstruieren Gegenstände der Stadt
b) dekonstruieren Nr.2,3,4,5, nachdem deren Plicht erfüllt ist
nach 20 Zerstörungen Dekonstruktion durch Nr.5 (siehe Nr.5b)

 

Nr.1,2,3,4,5:
Wissen von Anfang an vorhanden,
ersetzt:
Kommunikation
Kreativität
Gefühle
süchtig nach:
Glück,
Droge
benötigen:
a) Lebensmittel* (siehe Nr.3b)
b) Schlaf* (siehe graue Stadt* c)

*Zweck: Mein Amüsement

Schreibe, um zu träumen.