Unsere Gewinner*innen im März 2022

Wettbewerb im März 2022

Im März haben wir euch um eure Erinnerungsgedichte gebeten. Ausgehend von einer Erinnerung, die für euch besonders wichtig, einschneidend, wertvoll, schmerzhaft oder freudig ist, haben wir euch aufgerufen, euch mit dem menschlichen Gedächtnis auseinanderzusetzen. Inspiration gab es von einem Textausschnitt aus dem Gedichtband „vom wuchern“ von Tim Holland und von einem Dokumentarfilm über den Hirnforscher Eric Kandel.

In der Altersgruppe 10 – 14 konnten die Gedichte von Carla Futterknecht, Anna Grässler, Gabriel Jakob Hoffmann, Anastasiia Lebedynska, Tonda Montasser und Freya Werner unsere Monatsjury überzeugen. Wir gratulieren den sechs Gewinner*innen zum Thema „tiefsinnigeres wurzelgemüse“ herzlich und bedanken uns bei allen, die uns im März ihr Erinnerungsgedicht geschickt haben. Wir freuen uns auf weitere Einsendungen von euch und wünschen euch weiterhin viel Spaß beim Gedichte schreiben!

Denkraum

Carla Futterknecht
2010

Still und dunkel liegt es da, verwurzelt und verzweigt.

Kein Ton zu hören, kein Laut zu sehen – es schweigt.

Tief Verborgenes versteckt sich in diesem Labyrinth, bis es an Erfahrungen und Wissen gewinnt.

Röhren und Gänge schlängeln sich durch den dunklen Raum,
alles wird von ihm gesteuert, selbst der kleinste Traum.

Viele Bereiche teilen das Wunder ein, doch nur einer lässt unsere Fantasie herein.

Die Vergangenheit wird gespiegelt wider, lässt uns manchmal freuen manchmal sinken nieder.

Alles was jemals in unserem Leben geschah ist tief verwurzelt,
ob es gut oder böse war.

Viele Gedanken und Gefühle sind hier zu finden und niemals wird nur eines von hier verschwinden.

Wuchernd und wachsend strecken sich Erinnerungen wie Bäume nach oben, Gedanken und Träume treiben auf dem Gedächtnis wie rauschende Wogen.

Aus diesen Erinnerungen entsteht unsere Fantasie, lässt uns träumen von des Lebens Magie.

Grundschulerinnerung

Anna Grässler
2011

Schulerinnerung

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Fossile Sumpfzone

Gabriel Jakob Hoffmann
2011

In der Erinnerung flimmert ein Tag auf.
Wie ein Funken zwischen den Feuersteinen.
Ich laufe barfuß über den Steg durch die Moore.
Eine olivin-grüne Libelle versucht, meinen Schatten einzuholen.
Die sommerwarmen Holzplatten kühlen knarrend ab,
Als der Abend über das Himmelsblau schleicht.
In neun Schritten endet der Weg.
Dann erblickt ein Märchen die Welt:
Dort reifen die Moosbeeren unter einem dünnen,
versponnenen Nebelfetzen.
Die Sumpfohreule brütet ein goldenes Ei in der Hand eines Riesen.
Hinter den sieben Zwergsträuchern lauert eine Kreuzotter auf mich.
Das ferne Fuchsgebell verrät den Feind. Er nähert sich.
Ein toter Baum streckt zu mir seine knubbeligen Äste.
Betäubt von dem Baldrianduft reiche ich ihm meine Hände.
Die Blutaugen beobachten mich und singen ein Ewigkeitslied,
Während tausende flüsternde Heuschrecken mich
In den Sumpf der Erinnerung ziehen –
In das uralte Märchen, das gezwungen hat,
Ein verhextes Herz laut zu schlagen.
Das Herz eines Helden.
Im Kampf.
In der Nacht.

Wurzellos verwurzelt

Anastasiia Lebedynska
2007

Zuckerwatte, süße Freude, unschuldige Früchte,
Sie alle schlagen Wurzeln, ausgehend von dem Anfang, von dem Kind,
Welches die Zeichnung nie verstand, sondern vervollständigte, sich nie vor Lügen fürchte,
Halb blind, es trug eine traumhafte Brille, wo Farben sich endlich zeigten, nur nicht ganz so wie sie eigentlich sind,
betäubte Vorstellung, der Drang es zu verdrängen ragt weit über das eines Kindes, 
Vielleicht erinnert es sich nicht mehr, war lange schon kein Kind mehr, soweit es weiß, zumindest

Rauer Regen, süßer Schmerz, verräterische Frucht,
Wüsste ich es vorher, wär´ die Verlockung nie so gefährlich,
Ehrlich, wüsste ich es vorher, käm´ ich nicht immer wieder zu dieser kranken Sucht,
Streben nach Wachstum, doch alle Türen sind verschlossen,
Vielleicht finde ich den Schlüssel nicht, auch wenn ich verzweifelt danach suche,
Zu unentschlossen für Altersgenossen, es handelt von der bloßen 
Unsicherheit,

Wie soll man sich auch sicher sein, 
Wenn man sich ewig wiederholend gefangen findet,
Und einen die Unwissenheit, sowie die bitter-süße Frucht berechtigt daran bindet?

Trigger-Olymp

Tonda Montasser
2011

I

Gehirn-Moleküle erobern
den Trigger-Olymp.

Feiern das Rennen ab,
egal ob verloren.

Sehnen sich bereits
bei Zellenbesiegung

nach Vergessenheit.

 

II

„We‘re in vain,
cause we all insane“:
Gehirne werden überschätzt.

Pingpong spielen, dabei
die einfache Genialität
zerbrechen:

 

III (Inneres Drama mit Terassenmassakerkindern als griechischem Chor)

„Seit ich vegane Milch trinke,
erinnere ich mich nicht mehr
an Muttermilch…“

„Dann erinnere dich
an den ersten Gedanken,
an den du dich erinnerst“,
schreien chorweise
die Terrassenmassakerkinder.

„Reden wir nicht mehr
über unser Gehirn, Freunde.
Reden wir über
Darm, Niere und Leber:
Das erste Mal
spürte ich meine Leber,
als ich Alkohol trank…“

„Haha, das ist eine Erinnerung,
die noch nicht passiert ist“,
johlen die Terrassenmassakerkinder.

„Als ich vom 3 Meter Brett sprang,
erinnerte meine Niere mich an sich…“

„Aha“, sagen die Terassenmassakerkinder.
„Aber auch dies kein Beweis,
dass das Gehirn überschätzt wird.“

„Ich streichele meine Katze,
und in meinem Dickdarm
platzen rote Glücksorangen auf“,

„Das ist seltsam“,
die Terassenmassakerkinder
runzeln die Stirn.

„Ja, aber entspannend und schön.
Und noch was: Setzt eine Brille auf,
dann könnt ihr besser Gedichte lesen.“

 

IV

Erinnerungen füllen uns aus,
jede Zelle, jedes Organ.

Schlägst du ihnen den Kopf ab,
wie der Hydra,
wachsen drei weitere nach.

Erinnerungen werden so
immer wieder ausgerissen

und nachgepflanzt
in das große Gedächtnis.

 

V

Träume des Autismus:
entschwinden
aus dem Gehirn.

In meinem Kopf

Freya Werner
2008

Meine Notensammlung aus Erinnerungen.
Ich spiele sie oft.
Wurde alles viel gesungen.
In meinem Kopf.

Trauer-Geige und Sirenengesang
geh´n in mich rein.
Weine leise für jeden Klang.
In meinem Kopf.

Wut-Gitarren und Frustrations-Gebrüll
lassen alles raus,
was ich schreien will.
In meinem Kopf.

Du-kannst-es-Verse und Steh-auf-Klavier
ermuntern mich.
Sage: „Hoch mit dir!“
In meinem Kopf.

Freuden-Hymnen und Du-hast´s-geschafft-Melodien
singen für mich.
Tanze wild dazu.
In meinem Kopf.

Meine Kopf-Band spielt von vergangenen Zeiten
und von jetzt und übermorgen.
Weine, schreie, rede, singe, tanze
auf meinem Klavier.

Schreibe, um zu träumen.