Was wollt ihr mal werden? Wie wollt ihr leben? Habt ihr schon konkrete Wünsche und Vorstellungen oder bauen Fragen in diese Richtung eher Druck auf und nerven euch? Das haben wir euch im Oktober zum Thema „Was sind Ihre Ziele im…?“ gefragt. In der Altersgruppe 10-14 konnten die Texte von Banu Beinhauer, Gabriel Jakob Hoffmann, Ranya Jeddou, Rahel Krückeld, Tonda Montasser und Clara Scheid die Jury überzeugen! Herzlichen Glückwunsch! Eure und die Gedichte der weiteren Teilnehmer*innen zeigen, dass es in erster Linie keine materiellen Dinge sind, nach denen ihr strebt, vielmehr möchtet ihr „glücklich sein“, „gelebt haben“, „jemand werden der nicht nur in seinem Kreis geblieben ist“. Auch von mitunter heimlichen Träumen ist die Rede, „Autorin“ werden, „mitten im licht auf einer bühne stehen um meine texte mit der welt zu teilen“, „etwas illegales tun was dennoch richtig ist“. Und ihr beschreibt, dass es nicht immer einfach ist, die eigenen Wünsche und Ziele sichtbar zu machen und zu äußern, da sie nicht immer den Erwartungen der Umwelt entsprechen. Hier schreibt ihr davon, wie wichtig es ist, sich überhaupt erst einmal selbst kennenzulernen und dieser Person Gehör zu verschaffen.
Unsere Gewinner*innen im Oktober 2022
verstummtes ich
Banu Beinhauer
2008
aus meinem mund tausend wörter.
wörter, die taten beschreiben.
taten, die sich meine ziele nennen.
ziele, die nicht
zu mir gehören.
wörter, die sich anfühlen
wie lügen.
und gleichzeitig so wahr.
weil es die wahrheit ist.
weil es die wahrheit ist, dass eure ziele
meinen mund verlassen.
weil meine eigenen ziele stumm sind.
nicht greifbar.
nicht echt.
weil ich mir verbiete, sie zu ende zu denken.
ziele, die keiner hören will.
träume, die keiner sehen kann
ein kind, dass niemand kennt
das bin ich
Carpe diem
Gabriel Jakob Hoffmann
2011
In fünf Jahren
werde ich bestimmt mit meinem Latein am Ende sein,
werde ich [nicht mehr] für [d]/[m]eine Seele Gedichte schreiben,
werde ich [gebrochen]
wie eine Bruchzahl auf einer Zahlengerade stehen,
werde ich aufhören, die Nullen nach dem Kom[m]a bis in die Unendlichkeit zu zählen,
werde ich versuchen, auf dem Koordinatensystem im ersten Quadranten
als Punkt Z (2011 ǀ 2027) meinen Platz zu finden –
dort gibt es hoffentlich noch etwas Positives!
Ich werde einen Namen in die Baumrinde ritzen:
Mal schauen, ob die Chemie stimmt.
Dann beiße ich in den sauren Gravitationsapfel von Newton –
die restlichen Äpfel lasse ich für Schiller übrig.
Sobald ich den Zaunumfang für den Stall richtig ausgemessen habe,
werde ich alle niedlichen Häschen aus den Kinderliedern einsperren und
mit dem Pudel Mephisto Gassi gehen –
durch die weite, sussy Welt.
Von einem [Punkte-]Sammler werde ich zu einem [Brieftauben-]Jäger.
Ich werde versuchen, alle Brieftauben abzufangen.
Auch die letzte:
Sie kreist wie ein zu einem Geier entwickeltes Pokémon
seit Jahrhunderten über den Menschen umher —
Mit einer Nachricht von Quintus Horatius:
„Carpe diem! Carpe diem!“
Der geheime Brief in meiner Schublade
Ranya Jeddou
2009
Ich wollte einen Brief verfassen
an meinen Großvater der fragte wie ich meine Zukunft planen würde
Ich zögerte
behutsam denkend
Ich schrieb:
Mein Kopf soll erhoben sein
und das mit Recht
Ehrlich lachen will ich können
nicht nur als Trug
Mit Stift und Papier in den Händen
so dass alle die die einst meine Worte nicht hören wollten
meine Sätze lesen -verschlingen- werden
auf einer beleuchteten Bühne
vor einfach allen
in einem roten Kleid
Ich will mehr sehen
von unserem sterbenden Rund
-die Sterne will ich am besten von so vielen verschiedenen Positionen wie möglich betrachten-
Ich will jemand sein der deine Hand hält
wenn dir der Nachthimmel ein wenig zu nah gerückt ist
Eine Frau die weiß was sie tut
die mit unerschütterbarem Lächeln den Abgrund hinab springt
ohne erst einen Stein hinunter zu werfen
-oder vor der Landung zu ängsteln-
Ich will jemand werden der nicht nur in seinem Kreis geblieben ist
sondern sich einen eigenen Weg hinaus gekämpft hat
An der Spitze des Berges will ich stehen
an dessen Fuße man auf Kohlen lief
-mit wunden Füßen doch dennoch am Ziel-
Ich nahm den Brief und den passenden Schlüssel
und schloss ihn in eine leere Schublade
ich nahm ein anderes Blatt und schrieb ein einziges Wort darauf :
Autorin
die weite des lebens
Rahel Krückeld
2008
ich möchte…
das leuchten der nordlichter bestaunen
einen affen auf meiner schulter sitzen sehen
die schwerste route an der kletterwand erklimmen
mitten im licht auf einer bühne stehen um meine texte mit der welt zu teilen
meinen namen auf einem buchcover lesen
und mich im dschungel verlaufen
auf der beerdigung meines vaters die melodie von pippi langstrumpf spielen
in einer anderen sprache träumen
torte essen ohne an die kalorien zu denken
die unendlichkeit des meeres spüren
mich so vollsaufen dass ich das gefühl habe zu fliegen
das gefühl haben zu fliegen ohne mich vollzusaufen
schmetterlinge im bauch haben
und so richtig guten sex
etwas illegales tun was dennoch richtig ist
die welt ein kleines stückchen besser machen
mit einem segelschiff über den atlantik fahren
einem känguru in die augen sehen
tanzen bis ich alles um mich vergesse
ich möchte…
glücklich sein
Kaleidoskop (Zukünfte für Mentalitäten ohne Rasenmäher)
Tonda Montasser
2011
I
Nach dem abgefackelten
neongelben Bugatti
Erfinde was Neues:
einen Adventskalender-
Adventskalender.
II
Bald 16 Jahre alt,
Augenbrauen verdunkelt
Versuche 1Verdammnis mit pinkem Haar:
Herz für Bundstifte unterhalb
Knochenverdrehung.
Zerstöre Schneckengang
mit regenfarbigen Duden-Innereien
Tempelhof, überall
Starbucks-Kaffee, verschimmelt.
Berlin jagt Dopamin
durch meine olivenharte Haut.
Feuerzeug-Bordelle errichten LRS-Zentren,
meine Stereotypen breiten sich weiter aus
Schreie von Zigarettenschachteln
meine Verschreibung von Schmerzmittel
Wal-Schlager an der linken Ecke
von Schönheitschirurgien
Eine Selektion zwischen
melancholischen Textmarkern
Oder Salat-Blätter.
Bronzemond-Bettwanzen
versuchen, meine Brot-Box
mit Botox zu klauen.
Überlebe mit Flaschenpfand,
rechne den Rest in Korkenzieher um.
In Erinnerung der Goldlampen…
Ein Sonnenuntergang am Winterende.
Zu brutal?
Dann schau Heidi!
III
Seeanemonenschalen
durch Schwimmbad-Dreck.
Kannst du den Hunger spüren.
Terrassenmassakerkinder
fallen fluchend
in eine Umkleidekabine.
Unser System wird geradegestellt.
Wir haben keine Geschlechter mehr,
nur Illusionen
Rasenmäher sprengen sich selbst
durch ihr Gegenteil.
Drehen unsere Runden,
Moralapostel zensiert auf Vibratoren.
Unsere Liebe der Wasserflaschen.
Die Macht ist mit uns.
Die Liebe, Glückskeksverpackungen,
Leichtigkeit unser Reflex.
Freundschaft,
Balance zwischen
verschwindendem Eisenhut,
Wertschätzung und Akzeptanz.
IV
Das übergebene
Soja Mettwurst-Brötchen
liegt auf eine einzige Straßenbank
Kakerlaken befallen es mit Wut.
Die Zukunft wird
voller Worte von Tieren sein.
V
Wunderfrage: Ob Fliegen
sich selbst befriedigen können.
Haben jedenfalls die Beine dazu.
VI
Diese Einflüsse vom Drehen
fühlen sich an wie Kaleidoskope.
ich möchte…
Clara Scheid
2008
ich möchte…
Regelmäßiges durch den Tag plagen, um sich das Ende herbeizusehnen, nach dem wieder ein Anfang kommt, kommen wird (a² + b² = c², lernen, nachdenken, vorbereiten, um am Ende doch zu versagen, versagt haben, Versager sein) hinter mir lassen, gelassen haben, gelassen sein
ich möchte…
alltägliche, sich immer wiederholende Plagerei, zu der ich mich selbst verpflichtet fühle, die aber mein Leben nie ganz erfüllen, erfüllen wird (Arme bewegen, Beine weiter hoch, gerade Haltung, meinen Rekord brechen, gebrochen haben, gebrochen sein) lieben lernen, gelernt haben, gelernt sein
ich möchte…
aufgeschobene, nicht mehr haltbare Halbsituationen, die ich schon ewig tun muss, die aber nie ganz getan sind, getan werden (Nicht-Wissen, Unsicherheit, Lügen erzählen, die Wahrheit verschweigen, verschwiegen haben, verschwiegen sein) abschließen, abgeschlossen haben, entschlossen sein
ich möchte…
durch das Leben wandern, gewandert sein, jeden Tag genießen, genossen haben, Genießer sein, Fehler tun, getan haben und sie geliebt haben, geliebt sein, lieben, all diese Dinge erlebt haben, gelebt haben