Familie – alles durcheinander, und doch zusammen?
Kennt ihr das? Zu Hause ist manchmal wie ein Puzzle, bei dem die Teile nicht so richtig passen, aber am Ende doch irgendwie eins ergeben. Eure Mutter ruft: „Bleib hier!“, euer Vater: „Geh los!“. Beide meinen es gut, aber ziehen in komplett verschiedene Richtungen. Und ihr? Steht dazwischen, hin- und hergerissen. Genau um dieses Chaos, diese Gegensätze, diese komischen Gefühle geht es in unserem neuen Monatsthema.

A Family, 1951
Oil on canvas, 147 x 185 cm
National Gallery of Ireland Collection
Heritage Gift, Lochlann and Brenda Quinn, 2002
NGI.4709
© Estate of Louis le Brocquy
Photo, National Gallery of Ireland
Als Inspiration zum Thema möchten wir euch dieses Mal ein Gemälde aus Irland und ein Gedicht aus Schweden vorstellen.
Bild-Impuls: „A Family“ (1951) von Louis le Brocquy
Das Gemälde „A Family“ hängt in der National Gallery of Ireland. Auf den ersten Blick zeigt es eine ganz normale Szene: Mutter, Vater, Kind. Doch wenn man genauer hinschaut, merkt man schnell, dass etwas nicht stimmt. Der Vater sitzt mit dem Rücken halb zur Familie, seine Haltung wirkt schwer, fast niedergeschlagen. Er sieht aus, als hätte er keine Kraft oder keine Worte mehr. Die Mutter sitzt da, körperlich ganz nah beim Kind, aber mit leerem Blick, fast so, als wäre sie innerlich nicht anwesend. Die Umgebung wirkt kalt und hart, fast wie ein Betonbunker. Das alles erzeugt ein Gefühl von Unruhe und Beklemmung. Man spürt: Da ist Nähe, aber keine Wärme. Zusammen und trotzdem getrennt.
Aber: Es gibt auch etwas Helles im Bild. Das Kind hält einen Strauß bunter Blumen. Sie wirken wie ein kleines Licht, ein Symbol für Hoffnung. Vielleicht sagt uns das: Auch wenn es schwer ist, kann etwas Freudiges wachsen.
Le Brocquy malte dieses Bild 1951. Später, in den 1960er-Jahren, kämpfte er selbst mit psychischen Problemen. Trotzdem fand er damals neue künstlerische Inspiration: In Paris sah er Kunstwerke aus Polynesien, die ihn zu seiner berühmten Serie von „Portrait Heads“ führten.
Poetische Inspiration: Athena Farrokhzad und „Bleiweiß“
Die Lyrikerin Athena Farrokhzad (geboren 1983 in Teheran, aufgewachsen in Schweden) hat in ihrem Band Bleiweiß (im Original: Vitsvit) ein sehr persönliches und gleichzeitig politisches Langgedicht geschrieben. Der Band besteht aus lauter Stimmen von Familienmitgliedern: Vater, Mutter, Bruder, Großmutter. Jede*r spricht in kurzen, eindringlichen Sätzen, fast wie Sprüche, Erinnerungen oder Befehle. Es geht um Flucht, Heimat, Fremdsein, Sprache und eben auch um widersprüchliche Botschaften, die man als Kind hört.
Im Gedichtausschnitt „[Mein Vater sagte]“ zeigt sie, wie ein Elternteil Wahrheiten ausspricht, die aber nicht unbedingt helfen oder zusammenpassen. Man spürt: Da ist Nähe, aber auch Distanz. Da sind Worte, aber kein richtiges Gespräch. Da sind Wahrheiten, die sich widersprechen. Alle Familienmitglieder reden, aber sie reden aneinander vorbei. Jede*r sagt etwas Wichtiges und trotzdem hört niemand den anderen wirklich. Genau das kennt ihr vielleicht auch von zu Hause: Alle haben recht, alle meinen es gut, aber zusammen ergibt es ein großes Durcheinander.
Und jetzt seid ihr dran! Bringt eure eigenen Gedanken, Erfahrungen und Beobachtungen zu Papier! Wir freuen uns auf eure Gedichte!
Eure Schreibaufgabe im Oktober:
Wann fühlt ihr euch zu Hause gleichzeitig geborgen und eingeengt? Was bringt euch in eurer Familie total durcheinander? Und was ist vielleicht gerade schön, weil es nicht eindeutig ist? Zeigt uns, wie sich Familie für euch anfühlt – widersprüchlich, verrückt, nervig, schön, voller Liebe – und schickt uns im Oktober eure Familiengedichte!

Über Athena Farrokhzad
Athena Farrokhzad, geboren 1983 in Teheran, lebt in Göteborg. Sie debütierte 2013 mit dem stilgebenden Lyrikband Vitsvit (Bleiweiß), der bislang in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert wurde. Für ihr zweites Buch, Trado (2016), das sie zusammen mit der rumänischen Dichterin Svetlana Carstean schrieb, erhielt sie den Preis des Rumänischen Kulturradios. 2019 erschien I rörelse, 2022 Åsnans år, beide beim Albert Bonniers förlag. Farrokhzad ist als Dramatikerin, Kritikerin und Übersetzerin (unter anderem Adrienne Rich) tätig und unterrichtet Literarisches Schreiben an der Nordens Folkhögskola Biskops-Arnö. 2021 war sie Stipendiatin des Berliner Künstler:innenprogramms des DAAD, 2023 erhält sie den De Nios Vinterpris.
