Unsere Gewinner*innen im September 2025
Wettbewerb im September 2025
Meine wichtigste Erinnerung
Antonina Kapatsyn
2012
Standort: zu Hause, Wohnzimmer, Couch
Gefühle: ERROR
!ÜBERLASTUNG!
Maßnahme wird ergriffen…….Tränen
Eine Erinnerung, ein Moment
Ein Heft, bunte Punkte formen einen Teddy
Das Heft gefüllt mit Tabellen, Informationen, Zahlen, Buchstaben,
Satzzeichen, komplizierten Wörtern
Ein Wort, recht klein, besteht aus vier Buchstaben
Überraschung: B-A-B-Y
Ein Foto
Schwarz-weiß verschwimmt ineinander
Eine Form
Der Umriss einer zusammenkauernden Gestalt
Regale mit Kugeln, alle sind bunt,
eine leuchtet und blinkt und funkelt und flackert
Jede Minute, jede Sekunde wie ein Herzschlag
Die Kugel ist leicht und rund, der Moment in ihr gefangen
Jede Kugel trägt eine Erinnerung, jede ist wichtig, doch diese strahlt
Warum?
Diese Erinnerung ist am wichtigsten, diese darf niemals verschwinden
Ich werde sie festhalten, selbst wenn Gefahr besteht sie zu vergessen
Sie ist voll.
Voller Tränen
Voller Gefühle
Voller Freude
Voller Vorfreude
Voller Verwirrung
Voller Liebe
Voll.
Wichtig.
die Verbindung der Kälte und der Erinnerung
Jan Kamps
2011
Es regnet,
Ich sehe die Tropfen,
Dick klatschen sie an die Scheibe,
Der Geruch von Feuer,
Der Kamin knistert,
Es ist warm,
Das Sofa weich,
Man vergisst leicht,
Die Zeit,
Die Angst,
Die Glocke der Kirche schlägt,
Es ist spät,
Geh ins Bett,
Sagt Mama,
Das ist das Bild,
In meinem Kopf,
Ruhe, Sicherheit, Hoffnung,
Die Sonne wird wieder scheinen,
Doch das liegt zurück,
Verborgen,
Das Glück,
Die Wärme,
Irgendwo,
Weiß nicht,
Wo ich suchen soll,
Habe keine Kraft,
Keine Zeit,
Gehetzt zwischen Erfrieren und Vergessen,
Wer ich bin,
Wo ich bin,
Weiß nur,
Dass ich bin,
Würde das auch vergessen,
Wenn ich könnte,
Doch in meinem Kopf ist noch das Bild,
Das mich hält,
Vor dem Loch des Vergessens.
Erinnerungsblasen-Punk (Feat. Instrumente von Masch)
Tonda Montasser
2011
I
Vor drei Jahren.
Grundschule 5. Klasse,
NaWi Unterricht.
Wir wurden abgeholt.
Eyad, Henri und Ich.
Ich verabscheute Henri.
Eyad mochte mich nicht.
Wir sollten eine Band gründen.
Niemand von uns
konnte ein Instrument.
Henri spielte die Diddley Bow.
Eyad Gitarre, Ich Bass.
Wir sollten live spielen.
Neukölln, Oberschule
Für …
Keine Ahnung.
Ich war
Zum ersten Mal Bassist.
II
Da war also Masch.
Hat uns begrüßt.
Gefilmt und
alle Instrumente aus Müll gebaut.
Bandprobe
im Untergeschoss.
Masch war für uns
ein Riese
mit weißem flachen Haar.
Wann immer Masch gebaut hat,
hörte er uns trotzdem zu.
III
Der Bass war
aus einem Tennisschläger.
Ich halte ihn in Ehren.
IV
Neukölln.
Es gab technische Probleme
5 Stunden vergingen.
Filme, Vorstellungen, Reden.
Unsere Band fast letzter Akt.
Wir waren alle sehr zerstritten.
Dass keiner was von mir wollte,
kann ich nicht verübeln.
In meinen Kopf gab es ein Spiel
aus Wut.
Sagen wir es so:
Ich war fast am Ausrasten.
Wollte meinen Bass
In die Menschenmenge schmeißen.
Musiker kennen sowas.
V
Der Auftritt ging los.
Man konnte meinen Bass nicht hören.
Ich sprang, headbangte,
(Jetzt habe ich Buzz Cut)
schrie wie die letzten Tage.
Das erste Mal
Stand ich im Mittelpunkt
eines großen Publikums.
Auch Eyad schrie.
Alle klatschten…
hysterisch aufgepeitscht,
wie in einem Kampf.
Ich mit meinem soundlosen Bass.
Eyad am Mikro.
Die Songtexte hatten keinen Inhalt.
Soweit waren wir nie gekommen.
Erst wollte ich nur nach Hause.
Wie ein Terrassenmassakerkind.
Dann war mir selbst Henri lieb.
Als alles vorbei war,
setzte ich mich wieder hin.
Niemand sagte etwas zu mir.
Oder zumindest:
Ich erinnere mich
An nichts.
…
Wir fuhren mit der BvG nach Hause.
Ich mit meinem Tennisschlägerbass
Eyad und Henri
und irgendwo war sicher auch
Masch.
VI
Nach dem Konzert
lösten wir uns auf.
Ein Jahr später
gingen wir getrennte Wege.
Mit Eyad war ich manchmal in Kontakt.
Henri wurde im letzten Jahr nur noch schlimmer.
VII
Die Erinnerung an jenen Tag
dröhnt immer noch
Wie die in schlechter Qualität
aufgenommenen
Filme, Vorstellungen, Reden
in einer Neuköllner
Oberschul-Aula.
durch meinen Körper.
Und ja,
Ich habe auch davor geschrieben.
Doch nie habe ich mich standhafter gefühlt
auf der Bühne.
Als mit Maschs Tennisschläger-Bass.
Ich weiß nicht
Vielleicht war der Moment
nie so groß,
vielleicht nur mittendrin oder
der Anfang von allem.
Kindheit [Substantiv, feminin]
Melina Patzelt
2010
Die Grundschule ist aus,
mit Papa geht sie nach Haus.
Mama arbeitet noch, das wird ein besonderer Tag.
In die Küche gestürmt, die Bratpfanne brutzelt.
Papa fragt, was sie hören mag.
Aufgeregt nimmt sie die Kassette, das Abenteuer beginnt.
Es gibt Nudeln mit Ei, weil Papa Nudeln mit Ei macht.
Zerkratzter Teller, Trommelbesteck und Papanudeln.
Duckt sie sich unter den Tisch, Papa folgt,
stößt sich den Kopf, lacht.
Papanudeln unterm Tisch, Kassette summt und klackt,
Das Abenteuer geht weiter.
Papanudeln und die Kassette,
Papas Kindheit, ihre.
Wort für Wort, beiden vertraut,
flüstern sie ihre Lieblingsstellen.
Papa und Kind, gemeinsam.
Papanudeln unterm Tisch, Kassette, Abenteuer, Kindheit.
segelboot
Paula Röhm
2013
der schnee fällt
in jener nacht
das klappern der fensterläden
hallt
gespenstisch
durch raum und zeit
das kind läuft
die treppe hinab
auf bloßen füßen
huscht hinaus
streckt die arme in den wind
vergisst,
dass es hier nie zuhause sein wollte.
Unverspurt
Vincent Siemer
2012
Nach Sturm und Schneefall
Sonnenschein
Unverspurt
Eiskristall an Eiskristall
Bitterkalt
Unverspurt
Früh aufstehen, erster sein
Powdern gehen
Unverspurt
Erste Spur, zweite Spur,
Dritte Spur
Buckelpiste