Unsere Gewinner*innen im Oktober 2025
Wettbewerb im Oktober 2025
Herzlichen Glückwunsch! Die Oktober-Gewinner*innen in der Altersgruppe 10–14 stehen fest! Wir gratulieren Bernadette Filter, Charlotte Jelinek, Frida Karst, Tonda Montasser, Jarne Munko und Melina Patzelt! Ihre Gedichte zum Thema „Wer reist weiß nichts von Orten“ haben die Jury in diesem Monat überzeugt. Wir haben euch dazu aufgerufen, ein Familien-Gedicht zu schreiben und gefragt: Wann fühlt ihr euch zu Hause gleichzeitig geborgen und eingeengt? Was bringt euch in eurer Familie total durcheinander? Und was ist vielleicht gerade schön, weil es nicht eindeutig ist? Inspiration kam von unserer Monatslyrikerin Athena Farrokhzad und ihrem Gedichtausschnitt „[Mein Vater sagte]“ aus dem Band „Bleiweiß“. Die Gewinner*innengedichte zeigen, wie facettenreich Familie sein kann. Hier stellen wir ihre Texte vor.
Rose mit Dornen
Bernadette Filter
2011
1000 Messerstiche durch das Herz.
Meistens in den unerwartensten Momenten.
Machmal von hinten, manchmal dirket von vorne.
100 Schmetterlinge in meinem Bauch.
In den gücklichsten Augenblicken.
Gefangen in den Erinnerungen.
10 Bilder an der Wand.
Von besonderen Anlässen.
Schön zum anschauen stehen sie da.
1 Mal Ich.
Als Mensch, als Lebewesen, als perfekte Tochter.
Eine Rolle fürs ganze Leben.
1 Mal Famile.
Als ganzes, großes, schönes bekannt.
Doch wo Licht, da auch Schatten.
Mehr als 10 Schritte,
Mehr als 100 Gedanken,
Und mehr als 1000 Tränen.
Alles zu viel,
Alles zu riskant.
Winter kommt (Das Aquarium Part 2)
Charlotte Jelinek
2011
boar drucker geht nicht
ne doch
das geräusch von schnittlauchmesser auf glasplatte leise
dudelnde radio musik hundekrallen auf parkett
mama sagt gleich ich gähne papa macht irgendwas
mit dem drucker
der hund macht schon wieder was
papa sagt er kommt gleich mir ist langweilig ich schweige papa quetscht sich an mir vorbei
mama braucht den schafskäse papa sagt ja klar kann er machen
papa sagt er geht jetzt erstmal raus mama fragt braucht der nicht fressen ne dann geht der
da hin sagt papa ich wippe mit dem kopf mir ist langweilig ich hab hunger
das radio nervt aber eigentlich ist es okay der hund läuft wieder umher nudeln werden
abgegossen papa macht das licht aus mein bh klemmt die schmetterlingsgirlande wackelt im
wind papa niest mama erzählt der hund guckt
ich höre musik ich esse ich lache
winter kommt aber wir haben ja heizungen
mir ist kalt ich soll die hausschuhe anziehen ich höre wieder musik
winter kommt aber hier drin bleibt es laut
winter kommt aber kalt werden wir nicht
wenn winter kommt fühlt sich alles wieder so vertraut an
wenn winter kommt hab ich keine angst mehr zu ver(r)eisen
mein aquarium ist schon zugefroren
und ich tanze auf dem eis
Mein Dad, Frankreich und.. ich.
Frida Karst
2011
Ich war schon oft in Frankreich
Schön da. Oder so?
Strände,
Meer
und blauer Himmel
Ist es das, was dich anzieht?
Oder ist es die
Straßenmusik
die dich innehalten lässt –
Die Bäckereien
mit den besten Croissants,
deren Duft dir in die Nase steigt?
Schön. Oder so.
Wenn ich an Frankreich denke
Denke ich nicht an all das.
Aber trotzdem schön und so.
Ich denke an meinen Dad-
Wie lustig er aussah
Wenn sein Hut
mal wieder weggeweht wurde-
Schön, irgendwie.
Oder als er sich verlaufen hat
Und aussah
Als sei rechts und links
Das größte Rätsel
Schön und.. lustig irgendwie.
Ich denke an seinen Sonnenbrand
Weil er mal wieder den ganzen Tag am Strand lag
Ich hab ihm doch gesagt, er soll mit mir Schwimmen kommen!
Schön?
Manchmal macht es mich wütend
Zu sehen
Wie Familien
Frankreich genießen-
Als Einheit
Und zusammen und..
Glücklich?
Schön für sie. Oder so.
Ich wünschte
Ich würde wegsehen.
Aber tue ich nicht.
Und es macht mich wütend
Dass sie Spaß haben können
Und ich nicht –
Weil ich jedes Mal
Wenn ich an Frankreich denke
An meinen Dad denken muss.
Eigentlich schön, oder?
Aber auch daran
Dass er alles vergessen hat
Weil er seine Augen
Schon längst
Für immer schloss.
Aber Frankreich ist schön-
Weil er es liebte.
Der Van (mit Starthilfe)
Tonda Montasser
2011
I
Ich erinnere mich.
Es gab gute Gründe dafür,
Einen Van zu kaufen.
Meine Schwester und Ihr Freund,
ein Autonarr,
der ihr das Fahren beibrachte.
Insta- Träume, instabile Bindung
und dann: Trennung.
Vater und Ich
wollten immer nach Brandenburg.
Van-Life durch Skandinavien.
Durch die Berge, durch alles.
Die Vorfreude war
genauso riesig
wie die Trauer.
II
Wunden verheilen.
Einen schilfgelben VW-Bus
zu finden, dauerte drei Jahre.
III
Der Van funktioniert auch.
Im Prinzip:
Der Gestank von Benzin pestet
durch die flaschengrüne Verkleidung.
Radio, das nur brutzelt..
Eine VW-Hupe ohne Ton.
Viel 80er-Deko, die heute
nicht mehr kickt.
Ein Wasserhahn.
(Ich weiß bis heute nicht, ob er funktioniert).
Türkisfarbene Gardinen.
Alles sehr gemütlich.
Im Van im Sommer nach Brandenburg.
Im Van kann man Apfel Tee trinken
und ins flaschengrüne Wasser springen.
Ich schlafe dann in Retro-Vintage-Karomuster
80’s, 90’s Y2K im Van ein.
Obwohl ich da nicht mal auf der Welt war.
Der Van ist wie eine Wiedergeburt
einer lang vergangenen Zeit.
IV
Nun das Problem:
(Ihr hattet sicher schon eine Ahnung)
Der Van ist programmiert
auf unprogrammierbare Handarbeit:
Alles muss immer sofort
ausgeschaltet werden.
Die Batterie hat Verarbeitungsprobleme
Eine 130 140 Volt Differenz.
Deswegen sind wir ADAC- Stammkunden.
Brauchen immer Starthilfe.
Die Diagnosen der Mechaniker variieren.
Ich aber glaube, dass ein Marder
An der Wärme der Betterie nagt,
sich ernährt
vom überflüssigem hell-flüssig-gelben Benzin
und 80er-Jahre Elektrizität.
Wir sind immer instabil unterwegs
Und merken nicht,
dass wir zu spät aufgebrochen sind.
Während der Marder unter unserem Auto
an der Rest-Wärme der Batterie nagt.
V
Im 21. Jahrhundert durch
Zukunfts- und Retro-Fantasien
der Familie zu reisen.
Schilfgelb und Flaschengrün,
wie durch vergilbte Vintage Fotos
und eingefärbte Insta-Reels.
Zwischen uns
Jarne Munko
2010
Du kommst heim,
ziehst die Kapuze nicht aus,
deine Kopfhörer glänzen.
Meine Worte prallen daran ab,
lautlos, nutzlos.
Ich rede vom Tag,
du hörst nur den Bass,
nickst im Takt,
nicht im Gespräch.
Dein Blick gleitet an mir vorbei,
wie ein Lied, das ich nicht kenne.
Eltern ´s Kind
Melina Patzelt
2010
Sie sagen: Pass mit den Tellern auf!
Ich bin keine 5 mehr.
Sie sagen: Geh doch mal raus-
aber nimm das Handy mit, bleib in Sichtweite!
…
Ich will fliehen aus den Gegensätzen,
sie machen mich kaputt.
Bin nur noch ein Schatten
im grellen Licht der Helikopterscheinwerfer.
Das Licht macht mich blind,
sperrt mich ein
auf offenem Feld.
…
Sie fragen: Wie geht es dir, was denkst du?
Die Rotorblätter sind zu laut,
sie machen mich taub.
Taub für mich, meine Stimme, meinen Wille.
Die Rotation zerschneidet die Luft,
die Freiheit, mein Leben.
…
Und das was noch da ist,
ist gefangen.
Sie haben ihr Netz ausgeworfen,
der Helikopter über mir.
Ich ersticke im Netz ihrer Liebe.