Unsere Gewinner*innen im Juni 2025

Unsere Gewinner*innen im Juni 2025

Wettbewerb im Juni 2025

Unterbrechungsfreie Schleifen

Banu Beinhauer

2008

Phototropes Flackern
durch transluzente Vorhänge.
Der Morgen kondensiert
auf der Innenfläche des Fensters,
trägt Partikel,
Gerinnsel des Gewöhnlichen.

Eine Abfolge aus Thermik,
aus keramischer Kruste in Kornblumenblau,
Koffein, Korrelation,
Koordination von Gesten –
präzise, fast prädestiniert.
Die Tasse –
konsistent in Griff, Gewicht,
Geruch.

Chronometrie des Alltags:
Zäsuren im Minutenmaß,
die Kleidung ordnet sich
nach textiler Syntax,
Polyester, Wolle,
eine statische Choreografie
aus Stoff und Entscheidung.

Zwischen Algorithmus und Apathie
reihen sich Fenster
auf Bildschirmen wie Zellen –
Tabs, Tasks, Tasten,
Terminal, Tastatur,
eine Taxonomie der Kontrolle.

Die Stimme des Kalenders
flüstert deterministische Litaneien.
Ich nicke
mit der Mechanik des Verstandes,
nicht aus Zustimmung,
sondern aus Sequenz.

Im Mittagsintervall:
Plastikbesteck,
biologisch abbaubar,
aber geschmacksneutral.
Der Raum riecht nach Erwärmtem,
nach Erinnerung an Hitze,
nicht nach Hitze selbst.

Am Abend
verlangt der Körper nach Umkehr:
die Kleidung fällt
in umgekehrter Chronologie,
als würde man Spuren rückwärts laufen.

Im Spiegel
eine konturlose Reflexion
aus Habitualität und Haut.
Zahnfleisch, Zellstruktur,
Schaum, Speichel, Spülung –
Reim auf Reim auf Reim.
Nur akustisch.

Lichtquellen flackern wie Gedanken,
schwanken zwischen Watt und Wille.
Ein letzter Blick auf ein Interface,
das mehr weiß als ich.
Dann
Kissenkontakt,
Augenschluss,
Netzhautflimmern.

Und darunter:
das Uhrwerk.
Unhörbar.
Unaufhaltsam.

 

12 step daily routine (vlog unerwünscht routinierter existenz)

Swantje Bitterling

2006

1. es beginnt das zählen, das WANN und WIE LANGE;
die zahlen, die sich wie maulwürfe in den schlaf graben; minuten und stunden, die auf mich einprügeln auge um auge, zahl um zahl
2. kopf stolpert noch über die augenlider; kopf klappt auf und augenlider zu; es klappert
3.lodernde kehle, gestern wurde zu oft geschluckt
4. aufstehen und sich fühlen wie kaugummi, das um finger gewickelt wird;
vor dem spiegel stehen wie am rand des fünfmeterturms
5. HOW MUCH IS YOUR OUTFIT WORTH?
aber: ich muss mir meine wut nicht anziehen, sie liegt eng an meiner haut; rage makes
me feel pretty
6. wieder die zahlen: ich weiß nicht mehr, wann ich das zählen gelernt habe, aber ich
würde gerne aufhören;
realität konstruiert sich von 1 bis 10, in 10K STEPS, in budgets und kalorien TRACKING APPS, die in unregelmäßigen abständen installiert und wieder gelöscht werden
7. zimmer all dark: vollkommene bewegungslosigkeit und den nächsten ladendiebstahl
planen, um nicht an gedanken zu ersticken
8. das hupen und das begutachten, das ware werden; männer, die nicht wissen wollen, weil sie schon wissen; alles, was zu oft passiert um noch zu schreien; luftanhalten anstatt zähnefletschen
9. mir vorstellen, wie ich in biergläser spucke, wie ich es knacken höre, prügelszenen immer zweimal lesen; minute um minute, zahn um zahn
10. zu müde sein zum einschlafen; wissen, dass ich nie wieder aufstehe, wenn ich jetzt einschlafe
11. vor dem einschlafen nochmal umdrehen; dem tag ein letztes mal in die augen sehen, er sieht mich genau so an, wie er mich morgen wieder ansehen wird
12. irgendwann doch noch einschlafen

„Zwischen den Fliesen“

Tijen Inci

2008

Ich weiß, wo meine Schritte landen,
bevor ich sie geh.
Zähle die Fliesen im Bad –
obwohl ich längst weiß, wie viele es sind.
Ich träume von den vertrauten Wiesen
hinter meinem Fenster,
von den Gesichtern, die mich immer lieben,
von den weißen Kleidern,
die ich schon einmal sah.

Ich träume von ungezogenen Linien,
von Uhren ohne Zeiger,
von Tagen, die  noch nicht wissen, was sie wollen,
und von Orten, die ich nur im Internet seh
Doch wenn ich wirklich geh –
wer wartet dann auf meine Schritte?
Wer rührt den Tee?
Und wenn ich mich verlaufe?
Vielleicht beginnt es mit leisen Füßen auf gewohntem Boden

Der Zug fährt ab, und ich bleibe stehen
Auf den Wiesen meines Fensters
Feige nach Feige.

Vielleicht 

doch lieber

morgen.

Funktion f FAILED

Ellen Mokry

2007

Tastatur, ASDFGHJ, Buchstaben–wie immer, 
Rechtschreibung–wie immer, 
Duden wahllos aufgeschlagen–Seite 111, 

// ich möchte keine WortMetaphern mehr. 
CODE SET UP 
// einzigartige Eintönigkeit kollidiert                                                       
// Mathemetaphern anstatt Wortmetaphern 
mathematischer Monotoniesatz = Lebenssatz? 
monoton = gleichförmig/langweilig/eintönig
Funktion f = Leben 
Intervall I = Lebensqualität;
Funktion f(Leben) ist im Intervall I(Lebensqualität) differenzierbar, 
= entspricht Algorithmus-Wasserfall, und der Erwartungspegel steigt

CODE STARTED 
// streben nach mehr und mehr und mehr mehr mehr mehr 
Augen auf, Sonne scheint, perfekter Tag, perfektes Ich, Spiegelbild
wunderschön,                                                                               
jeden Morgen diese Monotonie, mehr perfekt als gestern,    Mainstream und sie nennen
es Fantasie?? 

1) Intervall I =[kalter Kaffee; Latte Macciato mit Milchschaum]         
das heißt Funktion f ist streng monoton wachsend auf I,                 
das heißt (2×0.5)hoch 10-mal gelacht (lachender Emoji),
2) Intervall I =[Wecker nicht gehört; aufwachen bei Sonnenschein]   
das heißt Funktion f ist streng monoton wachsend auf I,                 
das heißt (2×0.5)hoch 10-mal gelacht (lachender Emoji),
3) Intervall I = [Horoskop hat große Liebe voraus gesagt; Bus verpasst] 
das heißt Funktion f ist streng monoton fallend auf I,                       
das heißt (2×0.5) hoch 0-mal gelacht (dislike Emoji),                       
das heißt (2×0.5) hoch 1-mal geweint (trauriger Emoji),

STOPP
//!!!!!!!!Rechenfehler in der Routine
Leben != ungleich linear&progressiv 

ERROR FUNKTION f FAKE 
Rechtschreibfehler im Journal, Spiegel kaputt, Frühstück angebrannt, Make up
verschmiert, Handyakku leer, Lieblingsshirt schmutzig, müde, dislike – 
neue Realität lädt………                                                                             
aus Routinen brechen perfektioniert unperfektes ausbrechen
ROUTINE FAILED 
 

                          L/\\

                          /     \\

         A/\\         /         \\

__ F__/   \\     /              \\         ___D____

                 I\\/                  \\        /

                                          \\    /

                                             \\/

ARTWORK EFFICIENT 

Definition(real): TagesMonotonie (ohne Steigung; steigend; fallend; steigend; fallend; steigend; ohne Steigung; steigend; fallend; steigend; fallend; steigend; ohne Steigung; steigend; fallend; steigend) 

// vielleicht ist das Leben? 

 

5-4-3-2-1*

Charlotte Pintz

2005

ich sehe

vier fingerkuppen, stille prozedur
risse im glas, spinnennetzartig
instagram-feed, dark mode
tagesschau, neuster post
israel greift iran an, …

ich fühle

halbmondförmige stiche, rechte hand
heißlaufendes plastik, linke hand
neue risse im herz, unsichtbar
salziges nass, abwärts

ich höre

phantomgeräusche, trotz taubheit
donnerschläge, zu schnell
stille, innen wie außen

ich rieche

schweißpartikel, überall
angst, unverkennbar

ich schmecke

metall, so vertraut

*Die 5-4-3-2-1-Methode stammt aus der Traumatherapie und hilft Betroffenen, sich in kritischen Situationen auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Dabei zählt man innerlich zunächst fünf Dinge auf, die man sieht, dann vier die man fühlt, drei die man hört, zwei die man riecht und eine Sache, die man schmeckt.

Zum Waschbecken

Carolin Simon

2004

Muttermale zählen, noch ganz nackt
Meine Augen blau geschattet, schwerlidrig
Kann ich später einen Job so machen?
Nicht in dieser Stadt.

Steh auf! Vor den Sonnenstrahlen.

Tuschen und Pudern,
meine wulstigen Lippen; Kirschplumprot
Schminken und trauern, mir hinterher
Damals eine Apologetin
Nun ein Scherz, beschwören will ich das Kind erneut,
noch ungeschminkt und ungeküsst
Ich verziere meine Schale, frische Wäsche

Zieh dich an, zieh dich an, Juno!

Schlechte Männer, keine Koryphäe mehr
Ordinär und aufgetakelt, zeremoniell zurechtgemacht
Rundbürsten und Wimpern zangen und biegen:
Wallendes wallendes Haar und zahlreiche Klimperwünsche
Ungerührte Bücher, trivial, rieche ich jetzt doch nach roten Früchten
Der Nachwelt nur das Schweigen!
Mein Kleid werfe ich über, streichelt mich.
Biskuitporzellan, das grelle Badezimmerlicht zeichnet mich so.
Jetzt kann man mich verköstigen!

Sechs Jahre später und ich arbeite hier.