genadelt gerendert dirty

[[deadline:2025-08-31 24:00:00]]

Stellt euch vor, ihr geht durch eure Straße, an Geschäften vorbei, über Ampeln, vielleicht zum Park oder zur Schule – und plötzlich steht da ein Fuchs. Direkt vor euch auf dem Zebrastreifen. Klingt verrückt? Passiert aber öfter, als ihr denkt. Willkommen in der Stadtwildnis!

Wild in Berlin – Die tierischen Nachbarn

Tiere mitten in der Stadt – habt ihr sie schon bemerkt? Wenn wir an Tiere denken, stellen wir uns oft Wälder, Seen oder Berge vor. Aber schaut mal genau hin: Auch mitten in der Stadt wimmelt es nur so von Tieren. Manche kennt ihr gut: Tauben auf dem Marktplatz, die sich um Brotkrümel streiten. Möwen, die durch die Luft schreien, auch wenn das Meer weit weg ist. Ratten, die schnell durchs Gebüsch huschen, wenn ihr sie nicht erwartet. Füchse, die nachts durch ruhige Straßen streifen – oder eben auch mal über einen Zebrastreifen spazieren.

Doch was ist mit den Tieren, die ihr nicht seht? Habt ihr euch mal gefragt, wer da eigentlich unter Autos entlangflitzt? Oder wer in alten Gemäuern lebt, auf Dachböden, in verlassenen Hinterhöfen? Vielleicht eine Eule, ein Marder, oder sogar ein Wildschwein?

In der spannenden Dokumentation von Reinhard Schädler wird genau das gezeigt: Eine Wildschweinfamilie, die zwei Jahre lang in Berlin beobachtet wurde. Die Tiere leben nicht etwa im Zoo oder im Wald, sondern zwischen Häusern, Straßen, Gärten und Läden. Sie finden kleine grüne Flecken, Hecken, vergessene Parks – überall ein bisschen Wildnis.

Nicht jeder ist begeistert, wenn plötzlich ein Wildschwein durch den Garten läuft. Manche Menschen wollen sie loswerden, weil sie Angst haben oder die Tiere als gefährlich empfinden. Andere suchen Wege, wie Mensch und Tier in einer Stadt zusammenleben können. Was denkt ihr darüber? Sollten Tiere in der Stadt einen Platz haben? Oder gehören sie „zurück in den Wald“?

Die Lyrikerin Maren Kames schreibt in ihrem Lyrikband „Halb Taube Halb Pfau“ über das Dazwischen, das Unfertige, das Tierhafte in uns allen. „Halb Taube, halb Pfau“ – das klingt wie ein Mischwesen, vielleicht ein bisschen wie wir in der Stadt: Nicht ganz Tier, nicht ganz Natur, aber auch nicht nur Beton. Vielleicht steckt auch in uns ein Teil Stadtwildnis?

Eure Schreibaufgabe im August:
Wenn ihr ein Tier in der Stadt wärt: Was wärt ihr? Eine Taube mit Überblick? Ein Fuchs mit Schleichwegen? Eine Katze, die überall zuhause ist? Wo würdet ihr euch verstecken? Auf dem Dach eines Supermarkts? Unter der Brücke am Fluss? Zwischen den Büschen im Schulhof? Was bedeutet es, einem Tier in der Stadt zu begegnen? Was seht ihr in ihm? Und was sieht es in euch? Macht die Augen auf – denn die Stadt lebt. Und vielleicht seid ihr schon längst Teil davon. Ein Teil der Stadtwildnis.

[Findest dich]

Maren Kames

Findest dich, Sonntagmorgen halb acht, bei den Haubentauchern an den
Gestaden stierst in die Schlieren säufst die Aussicht bis blindlings stehst
knietief im Siel rings schluckst Wasser vom Rand ab haust schlaff auf die
Planken liegst aus da wie Pfandgut – gestrandet auf deiner halbtauben Haut
gelandet im halbgaren Licht hier    
genadelt gerendert dirty       
verplempert im Tau und        
halb Taube halb Pfau             
halt das mal aus so  
ste(h)ts

aus: Maren Kames, Halb Taube Halb Pfau, Suhrkamp – Berlin 2024

Über Maren Kames

Maren Kames wurde 1984 in Überlingen am Bodensee geboren und ist in Baden-Württemberg und Hessen aufgewachsen. Sie studierte Kulturwissenschaften, Philosophie und Theaterwissenschaft in Tübingen und Leipzig, anschließend am Institut für Literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim. Mit Auszügen aus Halb Taube Halb Pfau gewann sie 2013 den Jurypreis für Lyrik sowie den Publikumspreis des 21. Open Mike in Berlin. 2016 erschien das Buch im Secession Verlag für Literatur. Ihr zweites Buch Luna Luna war 2020 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde vom Schauspiel Leipzig als abendfüllendes Stück auf der großen Bühne inszeniert. Beide Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und als Hörspiele umgesetzt. Hasenprosa, ihr erster Roman (Suhrkamp Verlag 2024), stand unter anderem auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Sie lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin. 

Maren Kames, Foto:  Max Zerrahn/Suhrkamp Verlag

Video-Clips zum Monatsthema:
Schreibimpulse und Gedichtlesung