Unsere Gewinner*innen im April 2025

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Wettbewerb im April 2025

Sphärenschatten

Banu Beinhauer

2008

Zwischen Palimpsesten aus Atem
flackern Phoneme, zerschellen
an unhörbaren Parabeln.
Dein Mienenspiel:
eine Kartographie aus Irrlichtern,
unenträtselbar,
wie der Vers eines zornigen Gottes.

Ich streue Semantikscherben
in deine stummen Hallräume,
und warte —
auf ein Echo,
auf ein Flimmern im Äther.
Doch alles verfließt
in Amnesie aus silberner Stille.

Ich schwimme
durch Kryptogramme,
verirre mich in Syntaxnebeln,
finde deine Silhouette
nur als Residuum im Vokalfeld.

Verstehen war ein Relikt,
eine Fata Morgana
in dieser verwaisten Lexik.

Vielleicht sind wir nur Palindrome,
die sich selbst verlesen.

Vielleicht sind wir nichts als
antike Chiffren,
aus der Zeit gefallen,
wortlos glänzend
im Staub der Bedeutung.

meine muttersprache ist verrat

Lilli Biller

2008

meine mutter ist schweigsam
mühsam musste ich sie mir aneignen
meine sprache
mutter wollte nicht
dass ich sie spreche
vielleicht wusste meine mutter
von dem kommenden verrat
vielleicht wurde sie selbst zu oft verletzt
in ihrer sprache

vielleicht weiß sie
dass es eine gewalttat ist
etwa geschehenes in sprache zu übersetzen
und in eine weitere sprache
dann ist es dreimal passiert

vielleicht weiß sie nicht
dass es auch eine gewalttat ist
nicht in meiner muttersprache
über das geschehene sprechen zu können

allein übersetze ich mir deshalb
die letzten sechs monate
wenn ich schreibe steht in jeder leerzeile
das unübersetzte
meine muttersprache ahnt nicht
was mir in ihrer abwesenheit passiert ist
wie kann sie dann noch
meine muttersprache sein

ABCDEFG HIJKLGBT

Emil Trunk Ekanayaka

2004

An mich und die mir gleichen.

du kennst mehr namen für empfindungen als
du je empfindungen haben wirst,
mehr dein hirn als
dein herz.

fürchte dich nicht, spreche ich zu dir,
ich, der ich weiser geworden bin.
du kannst theorien hinzuziehen,
dich auf lacan berufen und

das hat doch alles keinen sinn, denn
deine mutter hat nie von lacan gehört und
auch sonst niemand,
nicht die vögel, nicht die fische, nicht der wind.

bezeichne dich als urning, als
invertiert, als exzentrisch –
deine augen werden nicht jünger,
deine zunge nicht leichter.

fürchtet euch nicht,
ihr die mir gleichen,
das meer muss die namen eurer inseln nicht kennen,
muss sie nur umspülen.

Analytischer Gesang

Julian Sebastian Fröhling

2004

Vielleicht etwas, das aufsteigt. Vielleicht etwas, das absteigt, Tischlicht
als Licht auf dem Tisch. Kleine, versiegende Navigation. Dieser helle

Fleck, er kann die Form von Lanzen haben, Veilchen, Vätern – von mir aus

abstrahiert. Wo sitzt du da? Nicht dein Haar beschreiben! Nicht deinen Mund (zerküsster Knautsch).

Untergehen in den Bedeutungen, nicht einzelnen Worten. In sie lege ich Steine herein.

Das macht dich recht schwer, mein Findling, gehalten im Fluss des Bewusstseins.

Kitsch, wie nass meine Hände doch sind, eine Urszene, wie´s Taufen. Hier gehts nicht um
Abfluss, es geht um das Gegenteil von Verlust. Etwas, das aufsteigt bin ich. Leicht gemacht

durchs Geistersuchen, geistig inbegriffen, innig wie Luft, die dich wieder und wieder durchfährt.

Vor Väter, der Vorstoß ins Herz, ohne Vorväter. Wenn du abspülst, sprich weiter. Du
hast ja einen Schatten. Du hast ja etwas, das es anzusehen gibt, neben den Lippen, beiden.

Gasbläschen

Charlotte Obenaus

2005

Mutter knackt ihre Finger, einen nach dem anderen,
als würde sie den Rosenkranz beten.

Wenn sie auf ihren Daumen drückt und er dumpf knirscht,
wünscht sie sich vielleicht einen anderen Namen.

Das Gefährliche beim Übersetzen ist die Lücke

 

zwischen Boot und Steg.

Wenn Mutter schweigt und ich mir den Rest denke,
falle ich kopfüber in den See, den niemand auf die Karte setzt.

Ich glaube an den Gott, der hört, wenn Gasbläschen platzen,
und weiß, was damit gemeint ist.

traumdeutung

Katharina Scheipner

2005

im bus nach hause: ein hauch ihres parfums oder vielleicht nur einbildung. niemand hier kennt meinen namen. es gibt nichts zu erklären. im schlaf immer noch träume von ihr und ihren geheimnissen, aber morgens streife ich sie ab, so wie sich die haut beim duschen nach einem sonnenbrand abrollt. wache dann in stille auf und plötzlich erinnerungen an das haus meiner kindheit. ich erzähle niemandem von diesen heimsuchungen, von meiner verschwiegenheit und ihrem wissenden, bohrenden blick, ich sage niemandem, dass sie mir fehlt. keiner weiß von ihrem blick damals im schnee oder versteht bei welchen namen es wehtut. notizen für die traumdeutung: zinn, chlorgeruch, blitzableiter, die weißen schläfen meines vaters. erklär mir meine angstträume, aber ohne namen zu nennen, ohne schlüsselszenen einzufordern. nicht verbergen kann ich mein starren, meine billigen tricks, meine durchschaubarkeit. frag nicht nach.